Triumph der Tugend, von Johann Wolfgang von Goethe

Erste Erzählung

Von stiller Wollust eingeladen
Drang in den Tempel der Dryaden
Mit seinem Mädgen Daphnis ein,
Um zärtlich ohnbemerkt zu seyn.
Des Taxus Nacht umgab den Fuß der Eichen,
Nur Vögel hüpften auf den Zweigen,
Rings um sie her lag feyerliches Schweigen,
Als wären sie auf dieser Welt allein.
 
Sie sasen tändelnd in dem Kühlen.
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Allein, dem Herzen nah, das uns so zärtlich liebt -
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Wem Amor solch ein Glükke giebt,
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Wird der nicht mehr als sonsten fühlen?
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Und unser Paar fieng bald an mehr zu fühlen.
 
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Des Mädgens zärtlich Herz lag ganz in ihrem Blikke,
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Halblächelnd nennt sie ihn ihr bestes gröstes Glükke.
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Sein Herz von heissem Blut erfüllt
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Drükt sich an ihr’s, lässt nach, drükt wieder;
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Und wenn das Blut einmal von Liebe schwillt,
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Reißt es gar leicht der Ehrfurcht Gränzen nieder.
 
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Konnt’ Daphnis wohl dem Reiz des Busens wiederstehn?
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Bey jedem Kuß durchglüht ihn neues Feuer,
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Bey jedem Kusse ward er freyer,
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Und sie - und sie - ließ es geschehn.
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Der Schäfer fühlt ein taumelndes Entzükken,
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Und da sie schweigt, da jezt in ihren Blikken
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Anstatt der Munterkeit ein sanfter Kummer liegt,
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Glaubt er sie auf dem Grad von feurigen Entzükken,
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Wo man die Mädgen leicht besiegt.
 
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Sie war an seine Brust gesunken,
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Und er zulezt von Wollust trunken
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Erbat sich, Amor, Sieg von Dir.
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Doch schnell entriß sie sich den Armen,
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Die sie umfassten: Aus Erbarmen,
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Rief sie, komm, eile weg von hier.
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Bestürzt und zitternd folgt er ihr.
 
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Da sprach sie zärtlich: Laß nicht mehr
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Dich die Gelegenheit verführen;
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O Freund, ich liebe dich zu sehr,
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Um dich unwürdig zu verlieren.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27 KB)

Details zum Gedicht „Triumph der Tugend,“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
39
Anzahl Wörter
267
Entstehungsjahr
1767
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Triumph der Tugend“ stammt von Johann Wolfgang von Goethe, einem der bedeutendsten deutschen Dichter der Literaturgeschichte. Er lebte von 1749 bis 1832, was das Gedicht in die Epoche der Sturm und Drang bzw. Weimarer Klassik einordnet.

Auf den ersten Blick handelt das Gedicht von zwei Liebenden, die sich in einem abgelegenen Tempel begeben, um sich ihrer Zuneigung zueinander hinzugeben. Der Dichter beschreibt sehr romantisch und detailliert die Atmosphäre des Ortes und die Gefühle der beiden Protagonisten.

Im Kern beschreibt das Gedicht die erotische Spannung und das sinnliche Begehren zwischen den beiden Charakteren, Daphnis und seiner Geliebten, in einem abgelegenen, idyllischen Tempel der Dryaden. Die zum Teil sehr expliziten Beschreibungen ihrer körperlichen Liebe suggerieren, dass die beiden mehr miteinander taten, als sich nur zu lieben. Sie scheinen kurz davor zu sein, miteinander zu schlafen. Doch das Mädchen weist Daphnis schließlich ab, sie entzieht sich ihm, bevor es zum Geschlechtsverkehr kommt und bittet ihn, sie nicht weiter zu verführen. Sie legt großen Wert auf ihre Tugend und sagt ihm, dass sie ihn zu sehr liebt, um ihn „unwürdig“ zu verlieren.

Das lyrische Ich in diesem Gedicht, vermutlich Daphnis, erlebt einen Konflikt zwischen seiner körperlichen Begierde und dem Respekt vor der Tugend seiner Geliebten. Er ist von ihren Reizen und ihrer beider körperlicher Nähe erregt, respektiert jedoch letztendlich ihren Wunsch, ihre Tugend zu bewahren.

Das Gedicht ist in sechs Strophen mit jeweils unterschiedlicher Verszahl unterteilt und hat keinen festen Reim. Die Sprache ist sehr bildhaft und reich an Metaphern und Beschreibungen, die das sinnliche Erleben des lyrischen Ichs betonen. Goethe nutzt hier Wörter wie „Wollust“, „Liebe“, „Feuer“ und „Entzücken“, um die Lust und Leidenschaft zwischen den beiden zu verdeutlichen. Allerdings bleibt er stets innerhalb der Grenzen der für seine Zeit typischen Romantik und Höflichkeit, was das Gedicht zu einem verführerischen, aber stets respektvollen Liebesgedicht macht.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Triumph der Tugend,“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Wolfgang von Goethe. 1749 wurde Goethe in Frankfurt am Main geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1767 zurück. Erschienen ist der Text in Leipzig. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Goethe ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Die Epoche des Sturm und Drang ist eine Strömung in der deutschen Literaturgeschichte, die häufig auch als Genieperiode oder Geniezeit bezeichnet wird. Die Literaturepoche ordnet sich nach der Epoche der Empfindsamkeit und vor der Klassik ein. Sie lässt sich auf die Zeit zwischen 1765 und 1790 eingrenzen. Der Literaturepoche des Sturm und Drang geht die Epoche der Aufklärung voran. Die Ideale und Ziele der Aufklärung wurden verworfen und es begann ein Rebellieren gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System. Die Autoren der Epoche des Sturm und Drangs waren häufig unter 30 Jahre alt. In den Gedichten wurde darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die Nachahmung und Idealisierung von Schriftstellern aus vergangenen Epochen wie dem Barock wurde abgelehnt. Die alten Werke wurden dennoch geschätzt und dienten als Inspiration. Es wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Die Epoche des Sturm und Drang endete mit der Hinwendung Schillers und Goethes zur Weimarer Klassik.

Zwei sich deutlich unterscheidende Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert bewegt: die Aufklärung und eine gefühlsbetonte Strömung, die durch den Sturm und Drang vertreten wurde. Die Weimarer Klassik ist im Grund genommen eine Verschmelzung dieser beiden Elemente. Die Weimarer Klassik nahm ihren Anfang mit Goethes Italienreise im Jahr 1786 und endete mit Goethes Tod im Jahr 1832. Die Weimarer Klassik wird häufig nur als Klassik bezeichnet. Beide Bezeichnungen werden in der Literatur genutzt. Die Weimarer Klassik geht von der Erziehbarkeit des Individuums zum Guten aus. Ihr Ziel ist die Humanität, die wahre Menschlichkeit (das Schöne, Gute, Wahre). Die Dichter der Weimarer Klassik gingen davon aus, dass Gott den Menschen Vernunft und Gefühle gibt und die Menschen damit dem Leben einen Sinn geben. Das Individuum ist also von höheren Mächten bestimmt. In der Weimarer Klassik wird eine einheitliche, geordnete Sprache verwendet. Kurze, allgemeingültige Aussagen (Sentenzen) sind oftmals in Werken der Weimarer Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, legte man großen Wert auf Stabilität und formale Ordnung. Metrische Ausnahmen befinden sich oftmals an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Die wichtigen Schriftsteller der Weimarer Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Andere Schriftsteller der Weimarer Klassik sind Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Die beiden zuletzt genannten arbeiteten aber jeweils für sich. Einen konstruktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe.

Das Gedicht besteht aus 39 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 267 Worte. Die Gedichte „An den Mond“, „An den Schlaf“ und „An den Selbstherscher“ sind weitere Werke des Autors Johann Wolfgang von Goethe. Zum Autor des Gedichtes „Triumph der Tugend,“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 1618 Gedichte vor.

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