Tragische Erscheinung von Richard Dehmel
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In einer Wüste lagen viele Menschen, |
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die fast verschmachteten; sie wimmerten. |
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Ein schönes Mädchen nur, |
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mit hilflos braunen Augen, |
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litt stumm den Durst; denn gieriger als der Durst |
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brannte ihr seliges Mitleid ... |
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Da trat, vom glühenden Horizont herwachsend, |
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ein fremder Mann vor dieses Volk; |
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der hob den Zeigefinger ihnen dar. |
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Aus der gereckten, zitternden Spitze quoll |
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ein großer Tropfen Blut quoll, hing, und fiel, |
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fiel in den Sand; |
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verwundert sah das Volk den fremden Mann. |
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Der stand und stand, Tropfen auf Tropfen fiel |
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aus seinem Finger in den Sand; |
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und immer, wenn die rote Quelle troff, |
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erbleichte schauernd Er, sie aber staunten, |
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und Einige ächzten: er verhöhnt uns ... |
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Da schrie er laut mit seiner letzten Glut: |
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So kommt doch, trinkt! für Euch verblut’ich mich! |
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Doch jenes Mädchen sprach, indeß er hinlosch: |
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Sie wollen Wasser ... |
Details zum Gedicht „Tragische Erscheinung“
Richard Dehmel
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22
135
1893
Moderne
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichts ist Richard Dehmel, ein deutscher Dichter und Schriftsteller, der vom 18. November 1863 bis zum 8. Februar 1920 lebte. Aufgrund seiner Lebensdaten fällt Dehmel in die Epoche des Naturalismus und Symbolismus, obwohl sein Werk oft nicht genau einer Epoche zugeordnet werden kann.
Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht dunkel und bedrückend, da es von Menschen handelt, die in einer Wüste leiden und kurz vor der Erschöpfung stehen. Es herrscht eine ausgeprägte Leidensatmosphäre, die zugleich durch eine gewisse Hoffnungslosigkeit geprägt ist.
Beim Inhalt des Gedichts geht es um eine Gruppe verschmachteter Menschen in einer Wüste. Eines der bemitleidenswertesten Mitglieder dieser Gruppe ist ein schönes Mädchen, das stumm ihren Durst erträgt. Ein fremder Mann tritt heran und bietet sein eigenes Blut als Flüssigkeit an. Das Volk ist zuerst verwirrt und glaubt, der Mann würde sie verspotten. Er ruft aus, dass er bereit ist, für sie zu sterben, aber das Mädchen erklärt, dass sie Wasser benötigen, nicht Blut.
Das lyrische Ich zeichnet hier das Bild einer ernsten und hoffnungslosen Situation, in der ein guter Samaritan, der Fremde, vergeblich versucht zu helfen. Die letzte Aussage des Mädchens verdeutlicht die Kluft zwischen Absicht und Wirkung - trotz seiner Opferbereitschaft kann der Fremde nicht wirklich helfen.
Das Gedicht ist in freien Versen geschrieben, ohne ein festes Reimschema. Die dichte, bildhafte Sprache trägt zur düsteren Stimmung des Gedichts bei. Die wiederholten Beschreibungen des fallenden Blutstropfens verstärken die drastischen, schmerzhaften Bilder und vermitteln eine Atmosphäre des Leidens. Aussagen wie „Er verhöhnt uns“ und das letzte Zitat des Mädchens „Sie wollen Wasser“ verdeutlichen die tragische Unfähigkeit des fremden Mannes, den Verdursternden zu helfen, trotz seiner Selbstopferung.
Das Gedicht nutzt intensive, wiederkehrende Bilder und eine tiefgründige Symbolik, um den Ausdruck der tragisch verzweifelten Situation zu intensivieren. Es scheint eine Diskrepanz zwischen Absicht und Ergebnis zu thematisieren sowie die menschliche Fähigkeit zur Empathie, die jedoch manchmal nicht ausreicht, um zu helfen.
Weitere Informationen
Richard Dehmel ist der Autor des Gedichtes „Tragische Erscheinung“. Im Jahr 1863 wurde Dehmel in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. Im Jahr 1893 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist München. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Moderne zuordnen. Bei Dehmel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 22 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 135 Worte. Die Gedichte „Chinesisches Trinklied“, „Dann“ und „Das Gesicht“ sind weitere Werke des Autors Richard Dehmel. Zum Autor des Gedichtes „Tragische Erscheinung“ haben wir auf abi-pur.de weitere 522 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Richard Dehmel sind auf abi-pur.de 522 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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