Thüringer Wald von Louise Otto-Peters
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Thüringen, Land der deutschen Sagen, |
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Sei mir gegrüßt viel tausendmal! |
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Wie eines Freundes-Herzens Schlagen |
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Grüßt Du mich ja durch Berg und Thal. |
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Grüßt Du mich mit des Laubes Rauschen |
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In heiliger Waldeinsamkeit – |
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Drum will ich ihren Wundern lauschen |
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In träumender Versunkenheit. |
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Fernab dem eitlen Weltgetriebe |
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Umgeben nur von Waldesgrün, |
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Fühl’ ich in heil’ger Gottesliebe |
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Mein ganzes Wesen neu erglühn! |
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Der Abend kommt, am Himmelssaume, |
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Webt sich ein sanfter Rosenschein, |
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Die Vöglein zwitschern wie im Traume |
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Und Blumen schlafen duftend ein. |
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Nur leise plätschert noch die Welle |
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Des Bachs in alter Melodei |
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Und lockt den Edelhirsch zur Stelle, |
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Den Sohn des Waldes, stolz und frei. |
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Und immer stiller wird die Stille |
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Des Waldes und der eignen Brust – |
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Es wacht allein ein frommer Wille |
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Im Herzen, das sich gottbewußt. |
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Nur seine Stimme sei vernommen, |
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Die oft das Weltgeräusch erstickt – |
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Du läßt mich zu mir selber kommen |
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O Wald, Du hast mich süß erquickt. |
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II. |
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Wie hoch die schlanken Buchen ragen! |
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Wie wölbt sich kühn ihr reich’ Geäst |
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Gleich Säulen, ein Gewölb’ zu tragen |
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Für ew’ge Zeiten, stolz und fest. |
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So ragten sie schon manch Jahrhundert, |
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Dank der Natur und ihrer Gunst! |
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Von jenen Männern hoch bewundert, |
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Die sich geweiht dem Dienst der Kunst. |
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Geweiht ein ganzes Künstlerleben |
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Voll heiliger Begeisterung. |
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Die einst uns Dom um Dom gegeben |
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In reiner Gotik kühnem Schwung, |
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Durch freie Maurer eng verbunden |
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In heil’ger Baukunst Brüderschaft, |
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Ward einst im Buchenhain gefunden |
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Des deutschen Baustils Wunderkraft. |
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Was sie geschaut mit frommen Blicken |
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Ward ausgeführt mit reiner Hand, |
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Bis aller Welt zum Hochentzücken. |
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Der hehre Gottestempel stand. |
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Und gehst Du jetzt mit offnen Sinnen |
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Mit frohem Mut waldein und aus: |
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Denk’ an der Maurer Hochbeginnen |
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Und bau auch Du ein Gotteshaus. |
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Bau’ es in Dir; so fest gegründet |
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Wie Wald und Dom, so schön und rein, |
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Laß was Dein Leben selbst verkündet |
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Zur Ehre Deines Gottes sein! |
Details zum Gedicht „Thüringer Wald“
Louise Otto-Peters
15
57
311
1840–1850
Realismus
Gedicht-Analyse
Dieses Gedicht stammt von der Autorin Louise Otto-Peters, die im Zeitraum vom 26. März 1819 bis zum 13. März 1895 lebte. Sie schrieb dieses Gedicht also im 19. Jahrhundert und sie gehört zur Epoche der bürgerlichen Frauenbewegung in Deutschland.
Der erste Eindruck dieses Gedichts ist friedlich und ruhig, es strahlt eine respektvolle Hochachtung gegenüber der Natur aus. Es erzählt von der Schönheit des Thüringer Waldes und den Gefühlen, die das lyrische Ich in dieser wundervollen Landschaft verspürt.
In den ersten Strophen beschreibt das lyrische Ich seine Beziehung zu Thüringen, dem „Land der deutschen Sagen“. Es fühlt sich von der Landschaft gegrüßt und von der Stille und Ruhe des Waldes angezogen. Auch fromme Gefühle und Gottesliebe werden ausgedrückt. Im zweiten Teil des Gedichts wird die Verbindung zur menschlichen Kunst und Kultur hergestellt: Die schlanke, hohe Statur der Bäume wird mit der Architektur gotischer Kirchenbauten verglichen und der Wald als Inspirationsquelle der Baumeister dargestellt. Das Gedicht endet mit dem Aufruf, auch in sich selber ein „Gotteshaus“ zu errichten, sprich: ein tugendhaftes und gott geweihtes Leben zu führen.
Formal gesehen besteht das Gedicht aus 15 Strophen, die meisten davon mit vier Versen. Ausnahme bildet die achte Strophe, die nur einen Vers enthält und vermutlich als Übergang zwischen den beiden Teilen des Gedichts dient. Die Sprache ist recht einfach und klar, mit einigen poetischen Bildern und Metaphern. Das Reimschema ist durchgängig aabb, die Metrik variiert.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass dieses Gedicht eine tiefe Liebe und Ehrfurcht für die Natur, insbesondere für den Thüringer Wald, ausdrückt und gleichzeitig deutliche Bezüge zur menschlichen Kultur und Spiritualität herstellt.
Weitere Informationen
Louise Otto-Peters ist die Autorin des Gedichtes „Thüringer Wald“. Im Jahr 1819 wurde Otto-Peters in Meißen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1850 zurück. In Leipzig ist der Text erschienen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das vorliegende Gedicht umfasst 311 Wörter. Es baut sich aus 15 Strophen auf und besteht aus 57 Versen. Louise Otto-Peters ist auch die Autorin für das Gedicht „Am Schluß des Jahres 1849“, „Am längsten Tage“ und „An Alfred Meißner“. Zur Autorin des Gedichtes „Thüringer Wald“ haben wir auf abi-pur.de weitere 106 Gedichte veröffentlicht.
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- Am Schluß des Jahres 1849
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- An August Peters
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- An Georg Herwegh
- An Ludwig Börne
- An Richard Wagner
- Auf dem Kynast
Zum Autor Louise Otto-Peters sind auf abi-pur.de 106 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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