Sylvester-Nacht von Theodor Fontane

Das Dorf ist still, still ist die Nacht,
Die Mutter schläft, die Tochter wacht,
Sie deckt den Tisch, sie deckt für zwei,
Und sehnt die Mitternacht herbei.
 
Wem gilt die Unruh? wem die Hast?
Wer ist der mitternächtge Gast?
Ob ihr sie fragt, sie kennt ihn nicht,
Sie weiß nur, was die Sage spricht.
 
Die spricht: wenn wo ein Mädchen wacht
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Um zwölf in der Sylvesternacht,
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Und wenn sie deckt den Tisch für zwei,
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Gewahrt sie, wer ihr Künftger sei.
 
13 
Und hätt’ ihn nie gesehn die Maid,
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Und wär’ er hundert Meilen weit,
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Er tritt herein und schickt sich an,
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Und ißt und trinkt, und scheidet dann. –
 
17 
Zwölf schlägt die Uhr, sie horcht erschreckt,
18 
Sie wollt’ ihr Tisch wär’ ungedeckt,
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Es überfällt sie Angst und Graun,
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Sie will den Bräutigam nicht schaun.
 
21 
Fort setzt der Zeiger seinen Lauf, –
22 
Niemand tritt ein, – sie athmet auf, –
23 
Sie starrt nicht länger auf die Thür, –
24 
Herr Gott, da sitzt er neben ihr.
 
25 
Sein Aug’ ist glüh, blaß sein Gesicht,
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Sie sah ihn all’ ihr Lebtag nicht,
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Er blitzt sie an, und schenket ein
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Und spricht: „heut Nacht noch bist du mein.
 
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Ich bin ein stürmischer Gesell,
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Ich wähle rasch, und freie schnell,
31 
Ich bin der Bräutgam, Du die Braut,
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Und bin der Priester, der uns traut.“
 
33 
Er fasst sie um, – ein einzger Schrei;
34 
Die Mutter hört’s, sie kommt herbei;
35 
Zu spät, – verschüttet liegt der Wein, –
36 
Todt ist die Tochter, und – allein.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Sylvester-Nacht“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
238
Entstehungsjahr
1851
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Sylvester-Nacht“ wurde von Theodor Fontane verfasst, der im Zeitraum vom frühen bis zum späten 19. Jahrhundert tätig war und als bedeutender Vertreter des Realismus in der deutschen Literatur gilt.

Beim ersten Eindruck fällt das düstere und spannungsgeladene Atmosphäre des Gedichts sofort auf, die teilweise durch die Verwendung von Nacht- und Dunkelheitsbildern hervorgerufen wird. Es gibt auch einen Eindruck von Geheimnis und Unsicherheit, vor allem durch die wiederkehrende Frage, wer der erwartete nächtliche Gast der Tochter sein könnte.

Inhaltlich erzählt das Gedicht die Geschichte eines Mädchens, das in der Stille der Neujahrsnacht aufwacht und den Tisch für einen unbekannten Gast deckt. Es folgt der Tradition oder Sage, dass ein Mädchen, das in der Silvesternacht den Tisch für zwei deckt, denjenigen sehen kann, der ihre zukünftige Ehepartner sein wird. Die erwartete Begegnung wird jedoch plötzlich bedrohlich und erschreckend, als sie den Bräutigam nicht sehen will, der dann neben ihr erscheint. Es ist ein fremder Mann, den sie nie in ihrem Leben gesehen hat. Am Ende stirbt die Tochter, wobei die genauen Umstände ihres Todes nur implizit dargestellt werden.

Formal weist das Gedicht acht Strophen zu jeweils vier Versen auf. Die Sprache ist im Stil Fontanes klar und prägnant, wobei er sich symbolischer und Bildsprache bedient, um die Stimmung zu evozieren und die Handlung zu entwickeln. Insbesondere wird die Nacht – ein beliebtes Motiv in Fontanes Lyrik – als Rahmen für die traurige und unvorhersehbare Geschichte genutzt.

Zusammengefasst kann gesagt werden, dass mit „Sylvester-Nacht“ ein dunkles, eindringliches Gedicht vorliegt, das über die Grenzen des Realismus hinausgeht und deutlich Elemente des Übernatürlichen und des Unheimlichen einbezieht. Es zeigt die Ambivalenz von Traditionen und die unvorhersehbaren Folgen von Taten, die das Unbekannte heraufbeschwören.

Weitere Informationen

Theodor Fontane ist der Autor des Gedichtes „Sylvester-Nacht“. Fontane wurde im Jahr 1819 in Neuruppin geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1851 entstanden. Erschienen ist der Text in Berlin. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Realismus zuordnen. Bei Fontane handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 36 Versen mit insgesamt 9 Strophen und umfasst dabei 238 Worte. Theodor Fontane ist auch der Autor für Gedichte wie „Afrikareisender“, „Alles still!“ und „Am Jahrestag“. Zum Autor des Gedichtes „Sylvester-Nacht“ haben wir auf abi-pur.de weitere 214 Gedichte veröffentlicht.

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