Styx von Georg Heym

Die Nebel graun, die keinem Winde weichen.
Die giftigen Dünste schwängern weit das Tal.
Ein blasses Licht scheint in der Toten Reichen,
Wie eines Totenkopfes Auge fahl.
 
Entsetzlich wälzt sich hin der Phlegeton.
Wie tausend Niagaras hallt sein Brüllen.
Die Klüfte wanken von dem Schreien schon,
Die im Orkan die Feuerfluten füllen.
 
Sie glühn von Qualen weiß. Wie Steine rollen
10 
Den Fluß herab sie in der trüben Glut,
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Wie des geborstenen Eises Riesenschollen
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So schmettert ihre Leiber hin die Flut.
 
13 
Sie reiten auf einander nackt und wild,
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Von Zorn und Wollust aufgebläht wie Schwämme.
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Ein höllischer Choral im Takte schwillt
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Vom Grunde auf bis zu dem Kamm der Dämme.
 
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Auf einem fetten Greise rittlings reitet
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Ein nacktes Weib mit schwarzem Flatterhaar.
19 
Und ihren Schoß und ihre Brüste breitet
20 
Sie lüstern aus vor der Verdammten Schaar.
 
21 
Da brüllt der Chor in aufgepeitschter Lust.
22 
Das Echo rollt im roten Katarakt.
23 
Ein riesiger Neger steigt herauf und packt
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Den weißen Leib an seine schwarze Brust.
 
25 
Unzählige Augen sehn den Kampf und trinken
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Den Rausch der Gier. Er braust durch das Gewühl,
27 
Da in dem Strom die Liebenden versinken,
28 
Den Göttern gleich im heißen Purpurpfühl.
 
29 
II.
 
30 
Des Himmels ewiger Schläfrigkeit entflohen,
31 
Den Spinneweben, die der Cherubim
32 
Erhobene Nasen schon wie Efeu decken,
33 
Dem milden Frieden, der wie Öl so fett,
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Ein Bettler, lungert in den Ecken faul,
 
35 
Dem Tabaksdunst aus den Pastorenpfeifen,
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Der Trinität, die bei den Lobgesängen
37 
Von alten Tanten auf dem Sofa schläft,
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Dem ganzen großen Armenhospital,
39 
– Verdammten selbst wir uns und kamen her
40 
Auf dieser Insel weite Ödigkeit,
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Die wie ein Bootskiel in den Wellen steht,
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Um bis zum Ende aller Ewigkeit
43 
Dem ungeheuren Strome zuzuschaun.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.1 KB)

Details zum Gedicht „Styx“

Autor
Georg Heym
Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
43
Anzahl Wörter
275
Entstehungsjahr
1911
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Styx“ wurde von dem deutschen expressionistischen Dichter Georg Heym (* 30. Oktober 1887, † 16. Januar 1912) verfasst. Heyms Schaffensperiode fällt in die ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, einer Zeit voller sozialer und kultureller Umbrüche, die sich auch in seinem Werk widerspiegeln.

Auf den ersten Blick erweckt das Gedicht einen düsteren, bedrückenden und teils verstörenden Eindruck. Dies spiegelt sich in der dichten Atmosphäre und den krassen, teils gruseligen Bildern wider, die Heym erzeugt.

Inhaltlich beschäftigt sich das lyrische Ich mit der Unterwelt, genauer gesagt mit dem stygischen Fluss aus der griechischen Mythologie – dem Styx. Dieser Fluss trennt die Welt der Lebenden von der Welt der Toten. Das lyrische Ich schildert dabei eindrücklich und detailliert die teils grotesken Szenen, mit giftigen Dünsten, glühenden Qualen und dem Strom der Verdammten. All dies erzeugt ein Bild der Hölle und Unterwelt voller Leid und Qualen, aber auch der Sinneslust.

Heym verwendet in seinem Gedicht bewusst formale und sprachliche Mittel, um die bedrückende Atmosphäre zu erzeugen und zu intensivieren. Die einzelnen Strophen sind in 4 Verse unterteilt, mit Ausnahme der letzten beiden Strophen, die 5 respektive 9 Verse beinhalten. Dies erzeugt einen rhythmischen und melodischen Fluss, der gut zu dem unterweltlichen Flussmotiv passt. Heym verwendet eine dichte, symbolistische Sprache, voller lebhafter Metaphern und drastischen Bildern. Alles ist darauf ausgelegt, den Eindruck des Gruseligen und Abstoßenden zu verstärken.

In den letzten Strophen wendet sich das lyrische Ich direkt an das Publikum und stellt fest, dass es selbst gewählt hat, in diese Szene der Unterwelt hinabzusteigen, um dem endlosen Strom zuzuschauen. Es ist eine bewusste Flucht vor der 'ewigen Schläfrigkeit des Himmels' und der monotonen routinemäßigen Bequemlichkeit des irdischen Lebens.

Zusammenfassend könnte man sagen, das Gedicht „Styx“ von Georg Heym ist eine eindringliche, visuell starke und zugleich abstoßend faszinierende Beschreibung der mythologischen Unterwelt und ihrer sündhaften Bewohner. Heym verwendet die Unterwelt als Metapher, um seine Ablehnung der damaligen Gesellschaft und ihre Werte auszudrücken.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Styx“ ist Georg Heym. Heym wurde im Jahr 1887 in Hirschberg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1911 zurück. Leipzig ist der Erscheinungsort des Textes. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Expressionismus zuordnen. Der Schriftsteller Heym ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 43 Versen mit insgesamt 10 Strophen und umfasst dabei 275 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Georg Heym sind „Der Abend“, „Der Baum“ und „Der Blinde“. Zum Autor des Gedichtes „Styx“ haben wir auf abi-pur.de weitere 79 Gedichte veröffentlicht.

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