Spanische Krankheit! von Kurt Tucholsky

Was schleicht durch alle kriegführenden Länder?
Welches Ding schleift die infizierten Gewänder
vom Schützengraben zur Residenz?
Wer hat es gesehn? Wer nennts? Wer erkennts?
Schmerzen im Hals, Schmerzen im Ohr –
die Sache kommt mir spanisch vor.
 
Aber wenn ichs genau betrachte
und hübsch auf alle Symptome achte,
bemerke ich es mit einem Mal:
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das ist nicht international.
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Und seh ich das ganze Krankenkorps:
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kommts mir gar nicht mehr spanisch vor.
 
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Ein bißchen Gefieber, ein bißchen Beschwerden,
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Onkel Doktor sagt: „Morgen wirds besser werden!“
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Nachts im Dunkel Transpirieren,
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Herzangst, Schwindel und Phantasieren,
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mittags Erhitzen, abends Erkalten,
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morgen ist alles wieder beim Alten –
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Das ist keine Grippe, kein Frost, keine Phtisis –
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das ist eine deutsche politische Krisis.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.6 KB)

Details zum Gedicht „Spanische Krankheit!“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
115
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Spanische Krankheit!“ wurde von Kurt Tucholsky geschrieben, einem bekannten Journalisten und Satiriker, der in der Weimarer Republik in Deutschland tätig war. Tucholskys Lebenszeit (1890 - 1935) und der Kontext des Gedichts deuten darauf hin, dass es etwa um 1918 verfasst wurde, dem Jahr in dem die gefährliche Grippewelle namens Spanische Grippe auftrat und dem Ende des Ersten Weltkrieges.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht wie eine Beschreibung einer mysteriösen und gefährlichen Krankheit, die sich durch kriegführende Länder ausbreitet. Tucholsky nutzt Sprachbilder und Metaphern, um Symptome und Befürchtungen zu beschreiben.

Inhaltlich geht es jedoch, wie am Ende offenbart, nicht um eine tatsächliche Krankheit, sondern um die politische Situation in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Das lyrische Ich stellt die Krankheit zunächst als unerklärlich und fast überirdisch dar, nur um dann aufzudecken, dass es sich um eine rein deutsche Angelegenheit handelt: eine politische Krise, verursacht durch den kriegsbedingten Umbruch.

Die Form des Gedichts ist geprägt durch regelmäßige Verse, was für Tucholskys Stil typisch ist. Er greift dabei auf gewöhnliche Sprache und witzige Wortspiele zurück, um seine politische Kritik auf humorvolle Art auszudrücken. Die zunächst mysteriöse Krankheit, die sich „spanisch“ anhört und „nicht international“ ist, entpuppt sich als Deutsche Krisis. Damit kommentiert Tucholsky die Innenpolitik der Weimarer Republik satirisch und kritisch.

Zusammengefasst ist „Spanische Krankheit!“ ein politisches Gedicht, das die Verwirrung und die Unsicherheit im Deutschland der Nachkriegszeit aufgreift und satirisch darstellt. Dabei bedient sich Tucholsky einer einfachen und humorvollen, auf der anderen Seite aber auch stark symbolischen Sprache. Als Gesellschaftskritiker benutzt er das Medium der Poesie, um Missstände anzuprangern und zum Nachdenken anzuregen.

Weitere Informationen

Kurt Tucholsky ist der Autor des Gedichtes „Spanische Krankheit!“. Tucholsky wurde im Jahr 1890 in Berlin geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1919 zurück. In Charlottenburg ist der Text erschienen. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zu. Der Schriftsteller Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

In der Literatur der Weimarer Republik wurden auf inhaltlicher Ebene häufig die Ereignisse des Ersten Weltkrieges verarbeitet. Sowohl der Erste Weltkrieg als auch die späteren politischen Gegebenheiten der Weimarer Republik sind prägende Faktoren für diese Epoche. Die Neue Sachlichkeit in der Literatur der Weimarer Republik ist von distanzierter Betrachtung der Welt und Nüchternheit gekennzeichnet und politisch geprägt. Es wurde eine Alltagssprache verwendet um mit den Texten so viele Menschen wie möglich anzusprechen. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das im Jahr 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Schriftsteller ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung im Mai 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. In Folge dessen flohen viele Schriftsteller aus Deutschland. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Themen der Exilliteratur Deutschlands lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Schriftsteller fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oftmals konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Arbeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in deutscher Sprache schreiben konnten, was im Ausland aber niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die Themen in ihren Werken. Die anderen Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte zum einen die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Zum anderen aber auch den Widerstand unterstützen. Spezielle formale Merkmale weist die Exilliteratur nicht auf. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Literaturepoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Radioreden oder Flugblätter der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das Gedicht besteht aus 20 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 115 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Kurt Tucholsky sind „Abschied von der Junggesellenzeit“, „Achtundvierzig“ und „All people on board!“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Spanische Krankheit!“ weitere 136 Gedichte vor.

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