Sonnenuntergang von Heinrich Heine
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Die glühend rothe Sonne steigt |
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Hinab in’s weitaufschauernde, |
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Silbergraue Weltmeer; |
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Luftgebilde, rosig angehaucht, |
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Wallen ihr nach, und gegenüber, |
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Aus herbstlich dämmernden Wolkenschleiern, |
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Ein traurig todtblasses Antlitz, |
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Bricht hervor der Mond, |
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Und hinter ihm, Lichtfünkchen, |
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Nebelweit, schimmern die Sterne. |
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Einst am Himmel glänzten, |
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Ehlich vereint, |
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Luna, die Göttin, und Sol, der Gott, |
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Und es wimmelten um sie her die Sterne, |
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Die kleinen, unschuldigen Kinder. |
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Doch böse Zungen zischelten Zwiespalt, |
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Und es trennte sich feindlich |
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Das hohe, leuchtende Eh’paar. |
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Jetzt am Tage, in einsamer Pracht, |
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Ergeht sich dort oben der Sonnengott, |
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Ob seiner Herrlichkeit |
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Angebetet und vielbesungen |
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Von stolzen, glückgehärteten Menschen. |
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Aber des Nachts |
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Am Himmel wandelt Luna, |
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Die arme Mutter |
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Mit ihren verwaisten Sternenkindern, |
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Und sie glänzt in stummer Wehmuth, |
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Und liebende Mädchen und sanfte Dichter |
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Weihen ihr Thränen und Lieder. |
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Die weiche Luna! Weiblich gesinnt |
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Liebt sie noch immer den schönen Gemahl. |
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Gegen Abend, zitternd und bleich, |
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Lauscht sie hervor aus leichtem Gewölk, |
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Und schaut nach dem Scheidenden, schmerzlich, |
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Und möchte ihm ängstlich rufen: „Komm! |
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Komm! die Kinder verlangen nach Dir –“ |
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Aber der trotzige Sonnengott, |
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Bei dem Anblick der Gattin erglüht’ er |
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In doppeltem Purpur, |
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Vor Zorn und Schmerz, |
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Und unerbittlich eilt er hinab |
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In sein fluthenkaltes Wittwerbett. |
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Böse, zischelnde Zungen |
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Brachten also Schmerz und Verderben |
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Selbst über ewige Götter. |
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Und die armen Götter, oben am Himmel |
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Wandeln sie, qualvoll, |
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Trostlos unendliche Bahnen, |
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Und können nicht sterben, |
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Und schleppen mit sich |
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Ihr strahlendes Elend. |
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Ich aber, der Mensch, |
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Der niedriggepflanzte, der Tod-beglückte, |
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Ich klage nicht länger. |
Details zum Gedicht „Sonnenuntergang“
Heinrich Heine
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248
1825–1826
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Sonnenuntergang“ wurde von Heinrich Heine verfasst, einem bekannten deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts. Der erste Eindruck des Gedichts ist, dass es eine Art Lebenszyklus darstellt und reflektiert, denn es bezieht sich nicht nur auf den natürlichen Zyklus von Tag und Nacht sowie die scheinbare Bewegung von Sonne, Mond und Sternen, sondern auch auf den menschlichen Lebenszyklus und den Tod.
Im Zentrum des Gedichts stehen die Sonne und der Mond, die metaphorisch als ehemalige Liebende und als Eltern der Sterne dargestellt werden. Ihre Trennung wurde durch „böse Zungen“ verursacht und das lyrische Ich erwähnt deren Kummer und Schmerz mehrmals. Die Sonne wird als der eher stolze und abweisende Part dargestellt, während der Mond mit Sehnsucht darauf wartet, dass ihr geliebter Gatte zu ihr und ihren Kinder (den Sternen) zurückkehrt.
Obwohl das Gedicht in acht Strophen unterteilt ist, folgt es keinem bestimmten Reimschema. Heines Sprachgebrauch ist bildhaft mit vielen Metaphern, insbesondere bei der Darstellung der Sonne, des Mondes und der Sterne, die Personifizierungen darstellen. Er verwendet reichhaltige und tiefe Adjektive, um den emotionalen Zustand der himmlischen Körper zu beschreiben.
Das Gedicht endet mit einer persönlichen Bemerkung des lyrischen Ichs, das seine eigene sterbliche Existenz als etwas Glückliches und Befreiendes im Vergleich zu den unsterblichen, aber elenden Göttern betrachtet. Diese Stelle könnte auch als Hinweis auf das persönliche Schicksal Heines interpretiert werden, denn als er das Gedicht schrieb, lebte er im Exil in Frankreich und litt unter schweren gesundheitlichen Problemen. Einige Literaturwissenschaftler könnten argumentieren, dass Heine hier ein Gefühl der Befreiung durch den Tod zum Ausdruck bringt, ein Thema, das in vielen seiner anderen Werken vorkommt.
Im Allgemeinen scheint „Sonnenuntergang“ eine Allegorie des menschlichen Lebens und der tragischen Natur der existentiellen Realitäten zu sein. Die Personifizierung der himmlischen Körper verleiht dem Gedicht eine astrale und allumfassende Perspektive auf diese Themen, die Heine in einem persönlichen und emotionalen Kontext einsetzt.
Weitere Informationen
Heinrich Heine ist der Autor des Gedichtes „Sonnenuntergang“. Geboren wurde Heine im Jahr 1797 in Düsseldorf. Im Jahr 1826 ist das Gedicht entstanden. Hamburg ist der Erscheinungsort des Textes. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Heine handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 56 Versen mit insgesamt 8 Strophen und umfasst dabei 248 Worte. Heinrich Heine ist auch der Autor für Gedichte wie „Als ich, auf der Reise, zufällig“, „Alte Rose“ und „Altes Lied“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Sonnenuntergang“ weitere 535 Gedichte vor.
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