Sonnenthal von Karl Kraus

Faßt Mut zum Schmerz, daß seine Thräne nicht mehr fließt
und dieser große Chor der Jugendbühne stumm ist:
Die Glocke, die Charlotte Wolter hieß;
der Hammer, der mit Lewinskys Rede das Gewissen schlug;
und einer Brandung gleich die Stimme des Zyklopen Gabillon;
Zerlinens Flüstern; und Mitterwurzers Wildstroms Gurgellaune;
eine Tanne im Wintersturm jedoch war Baumeisters Ruf;
und schwebend, eine Lerche, stieg des jungen Hartmann Ton,
vermählt dem warmen Entemnutterlaut Helenens;
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und Hagel, der durch schwülen Sommer prasselt, Krastels Sang;
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und edlen Herbstes Röcheln Roberts Stimme;
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und Sonnenthals: die große Orgel, die das harte Leben löst.
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Und all der Sänger Stimme und Manier,
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die noch verstimmt, von solchem Geiste war,
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daß sie bewahrt sei gegen alles Gleichmaß,
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womit die Narren der Szene und der Zeit
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die lauten Schellen schlagen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.4 KB)

Details zum Gedicht „Sonnenthal“

Autor
Karl Kraus
Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
17
Anzahl Wörter
128
Entstehungsjahr
1920
Epoche
Moderne,
Expressionismus,
Avantgarde / Dadaismus

Gedicht-Analyse

Das hier vorliegende Gedicht „Sonnenthal“ wurde von Karl Kraus, einem österreichischen Schriftsteller, Dichter, Publizisten und Satiriker der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert, verfasst.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht wie eine Hommage an verschiedene Persönlichkeiten und deren stimmlichen Ausprägungen, vor allem an Schauspieler und ihre Rollen. Idealisiert wird der Ausdruck der „wahren“ Kunst im Gegensatz zur Oberflächlichkeit und Anbiederung an den Zeitgeist.

Das lyrische Ich fordert, Mut zum Schmerz zu fassen, und gibt einen kritischen Kommentar zu einer stillgewordenen, jugendlichen Bühne ab. Dann beginnt es, eine Reihe von Bildern verschiedener Stimmen und Charaktere aufzuzeigen, darunter Schauspieler aus der Zeit Kraus' wie Charlotte Wolter und Adolf von Sonnenthal, deren kraftvolle Interpretationen gewürdigt werden. Jeder dieser Künstler wird mit einer starken, oft natürlichen Metapher beschrieben, die ihre einzigartigen stimmlichen Eigenschaften und ihren Ausdruck symbolisiert.

Auffällig ist, dass der Autor eine gewisse Distanz und Überlegenheit gegenüber dem Mainstream der Kunstszene zu seiner Zeit zeigt. Er kritisiert die Banalität und Oberflächlichkeit der Mainstream-Kunstszene, die er als Nüsse oder Schellen interpretiert, die nur laut schlagen.

Die Form des Gedichts ist in freien Versen gestaltet. Es gehört zu den Gattungen der Spätromantik oder Moderne. Kraus verwendet eine reiche und bildhafte Sprache, viele Metaphern und Vergleiche. Charakteristisch ist auch der Wechsel zwischen äußerst bildhafter und konkreter Sprache und einer eher abstrakten, philosophisch anmutenden Ausdrucksweise. Die Reime sind unauffällig, was den Lesefluss natürlich und fließend gestaltet.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Karl Kraus in „Sonnenthal“ die Leidenschaft und das Talent von Schauspielern und Künstlern feiert und gleichzeitig die kulturelle Banalität seiner Zeit kritisiert.

Weitere Informationen

Karl Kraus ist der Autor des Gedichtes „Sonnenthal“. Im Jahr 1874 wurde Kraus in Jičín (WP), Böhmen geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1920. Der Erscheinungsort ist München. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zugeordnet werden. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das Gedicht besteht aus 17 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 128 Worte. Karl Kraus ist auch der Autor für Gedichte wie „Aus jungen Tagen“, „Bange Stunde“ und „Bekenntnis“. Zum Autor des Gedichtes „Sonnenthal“ haben wir auf abi-pur.de weitere 61 Gedichte veröffentlicht.

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