Sonette von Theodor Fontane

Ein Leben war’s, mit Kolben und mit Knütteln
In diesen eitlen Jammer drein zu schlagen,
Doch hab ich still ein lästig Joch getragen,
Und meiner Pflicht gehorcht und ihren Bütteln.
 
Jetzt aber, wo an Winters Thron zu rütteln,
Voll Lerchenschlag, die Frühlingslüfte wagen,
Jetzt will auch ich, und müßt’ ich sie zernagen,
Die Ketten alle muthig von mir schütteln.
 
Ein Lebewohl – kein Fluch Euch, meine Dränger;
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Ihr seid geschützt vor meines Zorns Ergüssen,
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Weil ihr zu klein dem neugebornen Sänger;
 
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Er eilt hinaus den jungen Lenz zu küssen,
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Und kein Gedanke nur gehört Euch länger,
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Als er Euch selber hat ertragen müssen.
 
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2.
 
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Nun kann ich wieder wie die Lüfte schweifen,
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Am Strom, im Wald auf’s Neue bei den alten
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Geliebten Plätzen Rast und Andacht halten,
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Und lächelnd nach der Abendröthe greifen.
 
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Dem Markte fern, dem Feilschen und dem Keifen
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Fühl ich der Seele Schwingen sich entfalten,
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Mir kehrt die Kraft mein Denken zu gestalten,
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Der Keim wird stark zur Frucht heranzureifen.
 
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Bald werd ich neu zu Freud und Frohsinn taugen;
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Schon lern ich aus des Frühlings heitren Klängen,
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Wie süßen Nektar, Lust am Leben saugen;
 
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Schon lächl’ ich wieder, statt den Kopf zu hängen,
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Und zwischen mich und Deine lieben Augen,
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Seh ich sich fürder keine Wolke drängen.
 
30 
3.
 
31 
Zur Geltung kommt das kläglichste Gelichter!
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„Sei Bänkelsänger oder Farbenreiber,
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Sei Dorfschulmeister oder Eseltreiber,
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Sei was Du willst, gleichviel! nur sei kein Dichter.“
 
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Verlacht man auch solch Schwatzen geistesschlichter
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Gevatterschaft, sammt ihrer alten Weiber,
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’s greift doch ins Herz, und einen müßgen Schreiber
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Schilt man sich oft als eigner Splitterrichter.
 
39 
Wenn aber dann nicht Scham ob eitlem Ringen
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Das heiße Blut ins Antlitz mir getrieben, –
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Wenn’s Freude war am Schaffen und Gelingen;
 
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Dann, während Erd’ und Erdennoth zerstieben,
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Fühl’ ich mich stark zu allen höchsten Dingen,
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Und würdig selbst Dein schönes Herz zu lieben.
 
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4.
 
46 
Ich würde mich in Mährchenträumen wiegen,
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Und lerchenfroh begrüßen jeden Morgen,
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Könnt’ ich den irdisch’sten der Erdensorgen
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Gebieten, sich zu Füßen mir zu schmiegen.
 
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Mir ist als müßt’ ich durch die Lüfte fliegen,
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Als würde mir die Freude Flügel borgen,
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Vermöcht ich je, gleich jenem Sankt Georgen,
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Die Noth – den ew’gen Drachen zu besiegen.
 
54 
Doch ob das Glück mir auch ein dürrer Bronnen,
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Und ob ich auch entbehren mag und leiden,
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Ich habe doch das beste Theil gewonnen.
 
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Und sollt’ ich, diese Stunde noch, entscheiden
58 
Mich zwischen Dir und einer Welt voll Wonnen,
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Es bliebe doch beim Alten mit uns Beiden.
 
60 
5.
 
61 
Es hat das Herz viel Todte zu bestatten!
62 
Sie, die gelebt drin und es ganz besessen,
63 
Verriethen’s oder lernten’s doch vergessen,
64 
Sie wurden kalt, wie heiß geglüht sie hatten.
 
65 
Die Besten selbst, und ob einst ohn’ Ermatten
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Ihr Lieben sie verschwendrisch zugemessen,
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Längst pflanzt mein Herz an ihrem Grab Cypressen,
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Sie leben noch, und wurden dennoch – Schatten.
 
69 
Ein jeder Tag sieht neue Kreuze ragen;
70 
Wohl weint das Herz, – doch Mannes-Kraft und Würde
71 
Lehrt immer neu geduldiges Entsagen.
 
72 
Nur sollt ich je als schwerste Lebensbürde
73 
Auch Dich hinaus auf jenen Friedhof tragen, –
74 
Mein Herze fühlt es, daß es brechen würde.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (31.6 KB)

Details zum Gedicht „Sonette“

Anzahl Strophen
24
Anzahl Verse
74
Anzahl Wörter
509
Entstehungsjahr
1851
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht ist von Theodor Fontane, einem deutschen Schriftsteller und Dichter, der von 1819 bis 1898 lebte. Er ist bekannt für seine Romane und Gedichte, die das gesellschaftliche Leben in Deutschland im 19. Jahrhundert darstellen. Die hier vorliegenden Sonette erlauben eine Einordnung in die Zeit des Spätrealismus bzw. der beginnenden literarischen Moderne.

Auf den ersten Blick erscheint das Gedicht reich an Emotionen und fängt sowohl Momente von Melancholie und Anspannung als auch von Freude und Hoffnung ein. Es scheint eine tiefe Reflexion und Wahrnehmung des eigenen Lebens zu sein, indem es den Übergang von einem Zustand der Unterdrückung zu einem Zustand der Freiheit und des Glücks beschreibt.

Insgesamt besteht das Gedicht aus mehreren individuellen, aber in ihrem thematischen Kern verbundenen Sonetten. In den ersten Strophen spricht das lyrische Ich von einem Gefühl der Unterdrückung und eines mühelosen Kampfes in seinem Leben. Es beklagt seine bisherige Rolle als Diener von Pflichten und die damit verbundene Unzufriedenheit. Aber mit dem kommenden Frühling erwacht in ihm der Mut und der Wunsch, seine Ketten abzuschütteln und ein neues Leben zu beginnen.

Je weiter das Gedicht fortschreitet, desto mehr wird klar, dass das lyrische Ich ein Dichter ist, der lange von der Gesellschaft verachtet wurde, sich aber nun die Freiheit nimmt, seinem Herzen zu folgen und seine eigene Identität als Künstler zu umarmen. Es beschreibt die Freude am Schreiben und wie es ihm Hoffnung und Selbstvertrauen gibt, selbst in schwierigen Momenten.

Formal besteht das Gedicht aus mehreren Sonetten, die klassischerweise aus 14 Zeilen mit einer bestimmten Reimstruktur bestehen. Fontane nutzt auch verschiedene rhetorische Mittel, um die Emotionen und Erfahrungen des lyrischen Ichs hervorzuheben, wie Metaphern und Personifikationen (etwa das Joch und die Ketten als Symbole für Unterdrückung). Die Sprache ist eher formal und traditionell, mit einem eleganten Rhythmus und einer reichen Bildsprache, die die intensiven Gefühle und Gedanken des Dichters vermittelt.

Zusammengefasst geht das Gedicht auf den innigen Kampf des lyrischen Ichs mit seiner Persönlichkeit und seiner Rolle in der Gesellschaft ein. Im Laufe des Gedichts erkennt das lyrische Ich jedoch, dass die innigste Erfüllung in der Treue zu seiner eigenen Identität und Leidenschaft liegt, unabhängig von äußeren Umständen und Meinungen, und findet schließlich Frieden und Glück in sich selbst und seinen künstlerischen Fähigkeiten.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Sonette“ ist Theodor Fontane. 1819 wurde Fontane in Neuruppin geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1851. Erschienen ist der Text in Berlin. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Realismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Fontane handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 74 Versen mit insgesamt 24 Strophen und umfasst dabei 509 Worte. Weitere Werke des Dichters Theodor Fontane sind „Aber es bleibt auf dem alten Fleck“, „Afrikareisender“ und „Alles still!“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Sonette“ weitere 214 Gedichte vor.

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