Sittlichkeitsdebatte von Joachim Ringelnatz

Ein Geruch und ein Gestank
Hatten einen Zank.
 
„Ich lasse mich nicht,“ rief der Gestank,
„Von deiner Süßlichkeit überschminken!“
 
„Mein Herr, sind sie denn riechnervenkrank?
Merken sie gar nicht, wie sie stinken?“
 
„Was kümmert’s dich, du bisamischer Schuft?
Bleib mir vom Leibe!“
 
„Nein, solch ein Stunk gehört an die Luft!
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Sie werden sehen, wie ich Sie vertreibe.“
 
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„Du Lüftchen, ich werde dich gleich verschlucken!
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Dich scheint der Moschus am Nabel zu jucken.“
 
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„Genug, mein Herr, ich merke, Sie sind
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Kein Gent. ich spreche hier gegen den Wind.“ –
 
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Es schwebten gerade zwei
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Ältere Damennasen vorbei.
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Sie wußten ihren Unmut zu zügeln,
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Rümpften und zitterten mit den Flügeln.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.5 KB)

Details zum Gedicht „Sittlichkeitsdebatte“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
18
Anzahl Wörter
107
Entstehungsjahr
1928
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts „Sittlichkeitsdebatte“ ist Joachim Ringelnatz, ein deutschsprachiger Schriftsteller und Kabarettist, bekannt für seine humorvollen und sarkastischen Gedichte und Dramen. Ringelnatz wurde am 7. August 1883 geboren und starb am 17. November 1934, was das Gedicht zeitlich in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts einordnet, eine Zeit, in der die Welt durch rasanten technologischen Fortschritt und gesellschaftliche Veränderungen geprägt war.

Beim ersten Lesen erweckt das Gedicht einen humorvollen Eindruck und gibt die Vorstellung von zwei divergierenden Instanzen, die sich streiten - hier in Form von Geruch und Gestank. Der Kontext des Streits scheint dabei symbolisch, ist aber durch den humorvollen und absurden Ton doch auch unterhaltsam und leicht zugänglich.

Inhaltlich geht es in dem Gedicht um einen Streit zwischen einem angenehmen Geruch und einem stinkenden Gestank. Beide behaupten ihre eigenen Qualitäten und betonen ihre Ablehnung gegenüber dem anderen. Sie scheinen zu repräsentieren, was als angenehm oder unangenehm, als moralisch oder unmoralisch betrachtet wird. Der Gestank verweigert es, seine unangenehme Qualität durch die „Süßlichkeit“ des Geruchs zu verstecken, während der Geruch den Gestank einer mangelnden Selbstwahrnehmung beschuldigt.

Das Gedicht hat keine streng festgelegte Form, besteht aber aus acht Strophen, jede mit zwei Versen, außer der letzten mit vier Versen. Die Sprache ist einfach und direkt, mit einer gewissen Komödie in den Aussagen der beiden „Figuren“. Ringelnatz' Gebrauch von direkter Rede verleiht dem Gedicht eine dynamische und lebendige Qualität. Interessant ist auch die Verwendung von Begriffen wie „bisamischer Schuft“ oder „Moschus am Nabel“, die eine fast karikaturhafte Vorstellung von Gerüchen oder Gestank erzeugen.

Am Ende des Gedichtes kommen zwei „ältere Damennasen“ ins Spiel, die den Streit beobachten und ihren Unmut ausdrücken, was möglicherweise auf die Vorstellungen der Gesellschaft von Moral und Anstand anspielt. Es deutet darauf hin, dass solche Debatten oft von außen beobachtet und bewertet werden, was zu zusätzlichen Spannungen führt.

Insgesamt scheint das Gedicht - unter der humorvollen Oberfläche - eine gesellschaftliche Debatte über Sittlichkeit und Anstand darzustellen, die Ringelnatz auf absurde und unterhaltsame Weise herunterbricht und so vielleicht dazu einlädt, festgefahrene Vorstellungen zu hinterfragen.

Weitere Informationen

Joachim Ringelnatz ist der Autor des Gedichtes „Sittlichkeitsdebatte“. Ringelnatz wurde im Jahr 1883 in Wurzen geboren. 1928 ist das Gedicht entstanden. Berlin ist der Erscheinungsort des Textes. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Moderne oder Expressionismus zuordnen. Bei Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das vorliegende Gedicht umfasst 107 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 18 Versen. Joachim Ringelnatz ist auch der Autor für Gedichte wie „Alone“, „Alte Winkelmauer“ und „Alter Mann spricht junges Mädchen an“. Zum Autor des Gedichtes „Sittlichkeitsdebatte“ haben wir auf abi-pur.de weitere 560 Gedichte veröffentlicht.

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