Silvester bei den Kannibalen von Joachim Ringelnatz

Am Silvesterabend setzen
Sich die nackten Menschenfresser
Um ein Feuer, und sie wetzen
Zähneklappernd lange Messer.
 
Trinken dabei — das schmeckt sehr gut —
Bambus-Soda mit Menschenblut.
 
Dann werden aus einem tiefen Schacht
Die eingefangenen Kinder gebracht
Und kaltgemacht.
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Das Rückgrat geknickt,
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Die Knochen zerknackt,
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Die Schenkel gespickt,
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Die Lebern zerhackt,
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Die Bäuchlein gewalzt,
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Die Bäckchen paniert,
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Die Zehen gesalzt
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Und die Äuglein garniert.
 
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Man trinkt eine Runde und noch eine Runde.
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Und allen läuft das Wasser im Munde
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Zusammen, ausnander und wieder zusammen.
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Bis über den feierlichen Flammen
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Die kleinen Kinder mit Zutaten
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Kochen, rösten, schmoren und braten.
 
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Nur dem Häuptling wird eine steinalte Frau
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Zubereitet als Karpfen blau.
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Riecht beinah wie Borchardt-Küche, Berlin,
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Nur mehr nach Kokosfett und Palmin.
 
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Dann Höhepunkt: Zeiger der Monduhr weist
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Auf zwölf. Es entschwindet das alte Jahr.
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Die Kinder und der Karpfen sind gar.
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Es wird gespeist.
 
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Und wenn die Kannibalen dann satt sind,
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Besoffen und überfressen, ganz matt sind,
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Dann denken sie der geschlachteten Kleinen
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Mit Wehmut und fangen dann an zu weinen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Silvester bei den Kannibalen“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
35
Anzahl Wörter
169
Entstehungsjahr
1931
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht wurde von Joachim Ringelnatz verfasst, einem bedeutenden deutschen Schriftsteller und Maler, der zwischen 1883 und 1934 lebte. Seine Werke sind vor allem der Expressionismus und Dadaismus Epoche zuzuordnen.

Das Gedicht „Silvester bei den Kannibalen“ entführt den Leser ab der ersten Strophe in eine surreale und doch grausam detaillierte Szene eines Kannibalenfestes. Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht aufgrund seiner dunklen Thematik verstörend und abschreckend.

Inhaltlich geht es um eine Gruppe von Kannibalen, die sich am Silvesterabend um ein Feuer versammeln um ein Festmahl, bestehend aus gefangenen Kindern, zuzubereiten und zu verzehren. Dabei beschreibt Ringelnatz mit großer Präzision und ohne Zurückhaltung die Zubereitung des Festmahls. Die Kannibalen feiern das neue Jahr mit ausgelassenem Essen und Trinken, bis sie schließlich überfressen und betrunken sind. Am Ende empfinden sie Wehmut und trauern um die „verzehrten“ Kinder, eine scheinbar absurde Regung, da sie selbst die Täter sind.

Das lyrische Ich gibt eine Beobachtung der Ereignisse wieder und scheint dabei distanziert zu sein. Durch die detaillierte und plastische Beschreibung der grausamen Szene, will das lyrische Ich wohl eine Kritik und Satire auf den übermäßigen Konsum und die Maßlosigkeit insbesondere während des Silvesterfestes darstellen.

Das Gedicht ist in sieben Strophen unterteilt, wobei die Länge der Strophen variiert. Dies trägt zu einem lebendigen Rhythmus bei und betont einzelne Momente in der Handlung. Die Sprache von Ringelnatz ist sehr bildhaft und direkt, mit einer Vielzahl von drastischen Beschreibungen. Dies verleiht dem Gedicht eine rüttelnde Wirkung und fordert den Leser dazu auf, seine eigenen Gewohnheiten zu überdenken.

Insgesamt ist „Silvester bei den Kannibalen“ ein Beispiel für die Methode der Übertreibung, um gesellschaftliche Missstände zu kritisieren und dem Leser einen Spiegel vorzuhalten. Ringelnatz gelingt es dabei, mit seiner intensiven Sprache und den starken Bildern, eine bleibenden Eindruck beim Leser zu hinterlassen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Silvester bei den Kannibalen“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Joachim Ringelnatz. 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. 1931 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Berlin. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Moderne oder Expressionismus zuordnen. Bei dem Schriftsteller Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das vorliegende Gedicht umfasst 169 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 35 Versen. Die Gedichte „Abschied von Renée“, „Abschiedsworte an Pellka“ und „Afrikanisches Duell“ sind weitere Werke des Autors Joachim Ringelnatz. Zum Autor des Gedichtes „Silvester bei den Kannibalen“ haben wir auf abi-pur.de weitere 560 Gedichte veröffentlicht.

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