Silvester von Joachim Ringelnatz

Daß bald das neue Jahr beginnt,
Spür ich nicht im Geringsten.
Ich merke nur: die Zeit verrinnt
Genau so wie zu Pfingsten,
 
Genau wie jährlich tausendmal.
Doch Volk will Griff und Daten.
Ich höre Rührung, Suff, Skandal,
Ich speise Hasenbraten.
 
Mit Cumberland, und vis-à-vis
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Sitzt von den Krankenschwestern
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Die sinnlichste. Ich kenne sie
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Gut, wenn auch erst seit gestern.
 
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Champagner drängt, lügt und spricht wahr.
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Prosit, barmherzige Schwester!
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Auf! In mein Bett! Und prost Neujahr!
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Rasch! Prosit! Prost Silvester!
 
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Die Zeit verrinnt. Die Spinne spinnt
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In heimlichen Geweben.
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Wenn heute nacht ein Jahr beginnt,
20 
Beginnt ein neues Leben.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.4 KB)

Details zum Gedicht „Silvester“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
98
Entstehungsjahr
1928
Epoche
Moderne,
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Silvester“ wurde von Joachim Ringelnatz geschrieben, einem bedeutenden deutschen Schriftsteller und Kabarettist, der von 1883 bis 1934 lebte. Somit lässt sich das Werk zeitlich der Weimarer Republik und der darauffolgenden nationalsozialistischen Herrschaft zuordnen, obwohl es keinen direkten politischen Bezug aufweist.

Der erste Eindruck des Gedichts ergibt ein Bild eines etwas resignierten, desillusionierten Silvesterabends. Das lyrische Ich vermittelt eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem Beginn des neuen Jahres und den damit verbundenen Ritualen und Traditionen.

Inhaltlich geht es um einen Menschen, der sich der allgemeinen Aufregung und Freude des Jahreswechsels entzieht. Das lyrische Ich nimmt den Jahreswechsel nicht als etwas Besonderes wahr, es fühlt sich für ihn „genau so wie zu Pfingsten“ oder „jährlich tausendmal“. Gleichzeitig zeigt es eine distanzierte, vielleicht sogar kritische Haltung gegenüber der allgemeinen Feierlust („Volk will Griff und Daten“, „Rührung, Suff, Skandal“). Stattdessen verbringt das lyrische Ich den Silvesterabend in relativer Ruhe und mit Genuss („Ich speise Hasenbraten“).

Die Aussage des Gedichts könnte als Kritik an der Oberflächlichkeit und Kommerzialität der Silvesterfeiern gelesen werden, als Ausdruck einer Sehnsucht nach Authentizität. Gleichzeitig zeigt es aber auch eine gewisse Lebenslust und Genussfreude, vor allem in den Passagen, in denen es von der „sinnlichsten“ Krankenschwester und dem Champagner spricht. Es endet mit einer eher melancholischen, aber doch hoffnungsvollen Note: „Wenn heute nacht ein Jahr beginnt, beginnt ein neues Leben.„

Formal folgt das Gedicht einem Muster von vierzeiligen Strophen, wobei der Reim abwechselt zwischen Kreuzreimen (in den ersten beiden Strophen) und umarmenden Reimen (in den letzten beiden Strophen). Die Sprache ist einfach und direkt, mit einigen eingebetteten Metaphern und Vergleichen („Die Zeit verrinnt. Die Spinne spinnt In heimlichen Geweben“). Insgesamt ergibt das Gedicht ein sehr lebendiges, lebensbejahendes und dabei doch kritisches Bild von der Silvesternacht.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Silvester“ ist Joachim Ringelnatz. 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. Im Jahr 1928 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Moderne oder Expressionismus zuordnen. Bei Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das 98 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 20 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Die Gedichte „...als eine Reihe von guten Tagen“, „7. August 1929“ und „Abendgebet einer erkälteten Negerin“ sind weitere Werke des Autors Joachim Ringelnatz. Zum Autor des Gedichtes „Silvester“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 560 Gedichte vor.

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