Seligkeit von Louise Otto-Peters
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Zufrieden nicht mit Gut und Glück, |
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Gebannt in enge Lebenssphären, |
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Erhebst Du weiter Wunsch und Blick, |
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Und willst noch Seligkeit begehren. |
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Und weißt Du auch was Seligkeit? |
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Und weißt Du auch wie sie errungen? – |
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Ein Lichtblick nur auf Raum und Zeit, |
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Der ihre Schranken übersprungen! |
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Wenn Du im brünstigen Gebet |
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Zum Throne Gottes Dich erhoben |
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Und die Gewißheit vor Dir steht: |
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Dein Geist ist selbst ein Strahl von oben. |
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Ein Strahl, ein Teil von Gottes Licht, |
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Betraut mit einer hohen Sendung – |
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Und eine innre Stimme spricht: |
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Du bist erkoren zur Vollendung – |
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Wenn dann Dich das Gefühl beseelt |
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In dieses Daseins Wechselleben: |
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Die ganze Menschheit ist erwählt, |
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Um nach Vervollkommung zu streben – |
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Und wenn im Tempel der Natur |
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Im Abendrot, beim Sternenreigen, |
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Im Sonnenglanz der Blumenflur |
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Sich Bilder des Vollkommen zeigen; |
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Dann sinkt von Dir ein jedes Leid |
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Und jeder Zweifel ist zerronnen, |
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Und ein Moment der Seligkeit |
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Hast Du hienieden schon gewonnen. |
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Und wenn in schöner Harmonie |
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Dein Herz ein andres Herz begegnet, |
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Und zweier Seelen Sympathie, |
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Lieb und Begeistrung zwiefach segnet. |
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Dann bist Du selig erdentrückt, |
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Fühlst Dich von Himmelslust umfangen, |
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Und ahnst beglückend und beglückt, |
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Daß zur Vollendung zu gelangen. |
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Und wenn ein Werk der Hand, dem Geist |
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Gelungen ist durch Fleiß und Mühen, |
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Dem Aug’ ein dunkler Vorhang reißt |
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Und neue Lande vor Dir blühen! |
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Und mitten drinn in Kampf und Not |
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Doch für den Gott im Busen streiten, |
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Und hinzunehmen Schmach und Tod, |
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Den Sieg der Menschheit zu bereiten: |
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Das ist auf Erden Seligkeit – |
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Ein Augenblick und wir erschrecken, |
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Daß wir erhoben uns so weit |
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Ob all den Wolken, die uns decken. |
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Doch will ein solcher Augenblick |
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Des Jenseit Seligkeit uns nennen: |
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Sinkt Raum und Zeit von uns zurück, |
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Wirst Du Vollkommnes rings erkennen! |
Details zum Gedicht „Seligkeit“
Louise Otto-Peters
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288
1880-1893
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Seligkeit“ wurde von der deutschen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters verfasst, welche von 1819 bis 1895 lebte. Daher kann das Gedicht in die Epoche des Realismus eingeteilt werden.
Beim ersten Lesen wird schnell klar, dass es sich um eine tiefgründige und seelische Auseinandersetzung mit dem Thema Seligkeit, das Streben nach Glück und das Bestreben, seine eigenen Grenzen zu überwinden, handelt.
Das lyrische Ich stellt zu Beginn die Frage, ob man wirklich weiß, was Seligkeit ist und wie man sie erreichen kann. Hierbei gibt es einen starken Fokus auf die Spiritualität, da es im Gedicht um das Streben nach Erleuchtung und einer höheren Ebene der Existenz geht. Das lyrische Ich betont, dass der Mensch ein Teil des göttlichen Lichts ist und dass es seine Bestimmung ist, nach Vollkommenheit zu streben. Die Seligkeit, so scheint es, liegt in der Erkenntnis dieser göttlichen Verbindung und dem ständigen Streben nach Vervollkommung.
Die Form des Gedichts ist recht strukturiert und besteht aus 13 Vierzeilern, wobei die Verse abwechselnd gereimt sind. Die Sprache ist formal und eher altertümlich, was wahrscheinlich der Epoche und dem Bildungsstand der Autorin geschuldet ist. Es wird eine erhabene, oft fast ekstatische Stimmung erzeugt, die die Glückseligkeit und den spirituellen Gehalt des Gedichts unterstreicht.
Das Gedicht zeigt deutlich den Gedanken des Realismus, in dem die Autorin das Streben nach Vollkommenheit und das Überwinden der irdischen Grenzen betont. Auch die Rolle der Frau in der Gesellschaft wird thematisiert, indem die Autorin den Leser dazu auffordert, für seine Rechte und die Rechte anderer zu kämpfen und dabei auch Schmach und Tod zu akzeptieren. Im Großen und Ganzen ist das Gedicht ein Aufruf zum Streben nach persönlichem Glück und zur sozialen Gerechtigkeit, und es vermittelt die Botschaft, dass wahre Glückseligkeit nur durch Streben nach göttlicher Vollkommenheit und den Dienst an der Menschheit erreicht werden kann.
Weitere Informationen
Die Autorin des Gedichtes „Seligkeit“ ist Louise Otto-Peters. 1819 wurde Otto-Peters in Meißen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1893 zurück. In Leipzig ist der Text erschienen. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her kann der Text den Epochen Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 288 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 52 Versen mit insgesamt 13 Strophen. Weitere bekannte Gedichte der Autorin Louise Otto-Peters sind „Auf dem Kynast“, „Bergbau“ und „Berufung“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Seligkeit“ weitere 106 Gedichte vor.
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- Am Schluß des Jahres 1849
- Am längsten Tage
- An Alfred Meißner
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- An Byron
- An Georg Herwegh
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- An Richard Wagner
- Auf dem Kynast
Zum Autor Louise Otto-Peters sind auf abi-pur.de 106 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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