Seine Gruft von Marie Eugenie Delle Grazie

Und abwärts schreit’ ich nun mit scheuem Zagen
Zur Klosterkirche, d’rin in Frieden ruht
O Tasso, was nach sturmbewegten Tagen
Der Tod uns ließ von deiner Qual und Gluth.
 
Vor meinen Blicken wächst mit hehrem Prangen
Dein Sarkophag empor mit Schwert und Schild,
Und die mit dir den Weg zur Gruft gegangen,
Sie nennt und weist uns treu des Künstlers Bild.
 
Rom’s Priester alle waren dein Geleite,
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Colonna und Corsini trugen dich,
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Mit Kränzen schritt die Jugend dir zur Seite
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Und Roma’s Lorbeerhelden neigten sich –
 
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Ja, du warst groß! Und als dein Aug’ geschlossen,
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Dein Mund erstarrt, durchlaufen deine Bahn,
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Erkannten reuevoll Italia’s Sprossen
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Dein heilig’ Weh und was man dir gethan!
 
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Vom Glorienschein des Ruhmes stolz umgeben,
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Um’s bleiche Haupt des Lorbeers ew’gen Kranz,
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Blickst du, wie anders nun, als einst im Leben,
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Herunter jetzt auf ihren Mummenschanz.
 
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Kein Bettlerkleid deckt heute deine Rippen
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Wie damals, als der Wahnwitz dich entflammt,
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Zu einem Lächeln zwang man deine Lippen,
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Doch herber hat kein Lächeln noch verdammt! –
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26 KB)

Details zum Gedicht „Seine Gruft“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
172
Entstehungsjahr
1892
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

„Seine Gruft“ ist ein Gedicht der österreichischen Dichterin Marie Eugenie Delle Grazie, die von 1864 bis 1931 lebte. Daher kann das Gedicht in die Zeit des literarischen Realismus und Naturalismus eingeordnet werden.

Das Gedicht handelt offensichtlich von einem Besuch eines Bestattungsorts, vermutlich in einer Klosterkirche, in der jemand, den das lyrische Ich als Tasso anspricht, begraben liegt. Hierbei könnte es sich um den italienischen Dichter Torquato Tasso handeln, der im 16. Jahrhundert lebte und aufgrund seiner lyrischer Werke und seiner leidenschaftlichen und stürmischen Lebensgeschichte berühmt wurde.

Die dargestellte Szene ist von ehrfürchtiger Bewunderung und melancholischem Nachsinnen geprägt. Das lyrische Ich trauert um das verlorene Genie, dessen Leben von Kämpfen und Leid geprägt war. In der Darstellung des aufwändigen Sarkophags, des Gedächtnisschmucks und der öffentlichen Trauer wird der Gegensatz zu Tassos eigentlichem, von Armut und Wahnsinn geprägtem Leben deutlich. Das lyrische Ich reflektiert über den traurigen Umstand, dass viele Künstler erst nach ihrem Tod Anerkennung finden und äußert eine gewisse Verachtung für den eitlen 'Mummenschanz' der Nachwelt, die nun die Verdienste des Toten feiert.

In der formalen Analyse lässt sich erkennen, dass „Seine Gruft“ in sechs Strophen zu je vier Versen unterteilt ist. Jede Strophe hat einen leicht erzählenden Charakter, wobei das lyrische Ich den Leser durch die Szene führt und auf verschiedene Details eingeht. Die Sprache ist bildhaft und emotional, aber auch sehr direkt, wenn es um die Beschreibung von Tassos Leiden geht. Von sprachlichen Mitteln wie Alliterationen, Metaphern und Vergleichen wird Gebrauch gemacht, was zur bildlichen und emotionalen Tiefe des Gedichts beiträgt. Die rhythmische Struktur und das Reimschema unterstützen zudem die atmosphärische Wirkung des Gedichts.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Seine Gruft“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Marie Eugenie Delle Grazie. Die Autorin Marie Eugenie Delle Grazie wurde 1864 in Weißkirchen (Bela Crkva) geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1892 entstanden. In Leipzig ist der Text erschienen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Die Schriftstellerin Delle Grazie ist eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 172 Worte. Die Gedichte „Arco naturale“, „Atlantis“ und „Beatrice Cenci“ sind weitere Werke der Autorin Marie Eugenie Delle Grazie. Zur Autorin des Gedichtes „Seine Gruft“ haben wir auf abi-pur.de weitere 71 Gedichte veröffentlicht.

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