Schäferliedchen von Kurt Tucholsky

Der Kaiser ist ein braver Mann,
doch leider nicht zu Haus,
und mancher gute Bürgersmann
zieht still sein Schnupftuch raus.
Und er beweint so tränennaß
den kaiserlichen Bann –
und sonst noch was und sonst noch was,
was ich nicht sagen kann.
 
Wie war sie schön, die große Zeit!
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Man fühlte sich als Gott.
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Man nutzte die Gelegenheit
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ganz aus, bis zum Bankrott.
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Der Orden reiches Übermaß
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in manche Hände rann
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und sonst noch was und sonst noch was,
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was ich nicht sagen kann.
 
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Sie standen tief im Flamenland
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und tief im Russenreich.
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Es herrschte dort die starke Hand;
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bei Panjes galt das gleich.
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Sie nahmen mit den tiefen Haß
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von Weib und Kind und Mann
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und sonst noch was und sonst noch was,
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was ich nicht sagen kann.
 
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Und das ist alles nun dahin.
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Was Wunder, daß es klagt:
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„Weh, daß ich ohne Kaiser bin!
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Wie hat mir der behagt!“
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Sie machen sich die Äuglein naß,
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die Herren um Stresemann,
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und sonst noch was und sonst noch was,
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was ich nicht sagen kann.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.7 KB)

Details zum Gedicht „Schäferliedchen“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
173
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Schäferliedchen“ wurde von Kurt Tucholsky verfasst, einem deutsch-jüdischen Journalisten, Satiriker und Schriftsteller, der zwischen 1890 und 1935 lebte. Tucholsky ist bekannt für seine scharfe Sozialkritik und seinen sarkastischen Schreibstil, insbesondere während der Weimarer Republik.

Auf den ersten Blick erweckt das Gedicht den Eindruck, dass es kritisch gegenüber einer bestimmten Vergangenheitsphase und den damit zusammenhängenden Autoritäten ist. Der Titel „Schäferliedchen“ lässt auf eine Art Lied oder Romanze schließen, allerdings wird diese Erwartung durch den Inhalt des Gedichts nicht erfüllt.

Das lyrische Ich beschreibt in diesem Gedicht die nostalgischen Gefühle einiger Bürger für einen Kaiser, der nicht mehr an der Macht ist. Sie scheinen seine Abwesenheit zu betrauern, obwohl das lyrische Ich andeutet, dass diese Trauer nicht gerechtfertigt ist. Darüber hinaus wird eine Erinnerung an eine „große Zeit“ beschworen, die sich als desaströs und zerstörerisch herausstellt. Diese Zeit wurde offenbar gekennzeichnet durch den Missbrauch von Macht, bis hin zum „Bankrott“. Es werden auch die Invasionen in „Flamenland“ und „Russenreich“ thematisiert, mit katastrophalen Folgen auf allen Ebenen.

Die Wiederholung des Verses „und sonst noch was und sonst noch was, was ich nicht sagen kann“ wirkt geheimnisvoll und suggeriert, dass die schrecklichen Wahrheiten, die versteckt sind, zu schrecklich sind, um sie zu enthüllen. Dieser Vers betont auch die Ironie und Satire, die das Gedicht durchziehen.

In Bezug auf die Form und Sprache des Gedichts, es besteht aus vier Strophen mit jeweils acht Versen. Die Sprache ist einfach und direkt, was typisch für Tucholskys Schreibstil ist. Der regelmäßige Rhythmus und das Reimschema tragen zur ironischen Wirkung des Gedichts bei, da sie in starkem Kontrast zu dem ernsten Thema stehen, das das Gedicht behandelt.

Insgesamt drückt das Gedicht Tucholskys tiefe Abneigung gegen die Autoritäten und ihre Taten aus. Trotz seines scheinbaren einfachen Stils enthält das Gedicht eine scharfe Kritik an den Mächtigen und ihrer Missachtung ihrer Pflichten und Verantwortlichkeiten.

Weitere Informationen

Kurt Tucholsky ist der Autor des Gedichtes „Schäferliedchen“. Tucholsky wurde im Jahr 1890 in Berlin geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1919 zurück. Erschienen ist der Text in Charlottenburg. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zuordnen. Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Die wichtigsten geschichtlichen Einflüsse auf die Literatur der Weimarer Republik waren der Erste Weltkrieg, der von 1914 bis 1918 andauerte, und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Weimarer Republik. Die Neue Sachlichkeit in der Literatur der Weimarer Republik ist von distanzierter Betrachtung der Welt und Nüchternheit gekennzeichnet und politisch geprägt. Es wurde eine Alltagssprache verwendet um mit den Texten so viele Menschen wie möglich anzusprechen. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung eines Politikers das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. In der Praxis wurde dieses Gesetz allerdings nur gegen linke Autoren angewandt. Aber gerade die rechts gerichteten Schriftsteller waren es häufig, die in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Die Grenzen der Zensur wurden 1926 durch das sogenannte Schund- und Schmutzgesetz nochmals verstärkt. Die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen wurden durch die Pressenotverordnung im Jahr 1931 ermöglicht.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht in der Fremde suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk in ihrer Heimat bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist religiöse oder politische Gründe den Ausschlag. Die deutsche Exilliteratur entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten zum Beispiel die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten in den Jahren 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Themen der Exilliteratur Deutschlands lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Schriftsteller fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oft konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Arbeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland aber niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die Themen in ihren Werken. Die anderen Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte zum einen die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Zum anderen aber auch den Widerstand unterstützen. Spezielle formale Merkmale weist die Exilliteratur nicht auf. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Literaturepoche geboren wurden. Das epische Theater von Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Radioreden oder Flugblätter der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das Gedicht besteht aus 32 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 173 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Kurt Tucholsky sind „An Peter Panter“, „An das Publikum“ und „An die Meinige“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Schäferliedchen“ weitere 136 Gedichte vor.

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