Schlachtfeld bei Hastings von Heinrich Heine

Der Abt von Waltham seufzte tief,
Als er die Kunde vernommen,
Daß König Harold elendiglich
Bei Hastings umgekommen.
 
Zwei Mönche, Asgod und Ailrik genannt,
Die schickt’ er aus als Boten,
Sie sollten suchen die Leiche Harold’s
Bei Hastings unter den Todten.
 
Die Mönche gingen traurig fort
10 
Und kehrten traurig zurücke:
11 
„Hochwürdiger Vater, die Welt ist uns gram,
12 
Wir sind verlassen vom Glücke.
 
13 
„Gefallen ist der bessre Mann,
14 
Es siegte der Bankert, der schlechte,
15 
Gewappnete Diebe vertheilen das Land
16 
Und machen den Freiling zum Knechte.
 
17 
„Der lausigste Lump aus der Normandie
18 
Wird Lord auf der Insel der Britten;
19 
Ich sah einen Schneider aus Bayeux, er kam
20 
Mit goldnen Sporen geritten.
 
21 
„Weh’ dem, der jetzt ein Sachse ist!
22 
Ihr Sachsenheilige droben
23 
Im Himmelreich, nehmt euch in Acht,
24 
Ihr seid der Schmach nicht enthoben.
 
25 
„Jetzt wissen wir, was bedeutet hat
26 
Der große Komet, der heuer
27 
Blutroth am nächtlichen Himmel ritt
28 
Auf einem Besen von Feuer.
 
29 
„Bei Hastings in Erfüllung ging
30 
Des Unsterns böses Zeichen,
31 
Wir waren auf dem Schlachtfeld dort
32 
Und suchten unter den Leichen.
 
33 
„Wir suchten hin, wir suchten her,
34 
Bis alle Hoffnung verschwunden –
35 
Den Leichnam des todten Königs Harold,
36 
Wir haben ihn nicht gefunden.“
 
37 
Asgod und Ailrik sprachen also;
38 
Der Abt rang jammernd die Hände,
39 
Versank in tiefe Nachdenklichkeit
40 
Und sprach mit Seufzen am Ende:
 
41 
„Zu Grendelfield am Bardenstein,
42 
Just in des Waldes Mitte,
43 
Da wohnet Edith Schwanenhals
44 
In einer dürft’gen Hütte.
 
45 
„Man hieß sie Edith Schwanenhals,
46 
Weil wie der Hals der Schwäne
47 
Ihr Nacken war; der König Harold,
48 
Er liebte die junge Schöne.
 
49 
„Er hat sie geliebt, geküßt und geherzt,
50 
Und endlich verlassen, vergessen.
51 
Die Zeit verfließt; wohl sechzehn Jahr’
52 
Verflossen unterdessen.
 
53 
„Begebt euch, Brüder, zu diesem Weib
54 
Und laßt sie mit euch gehen
55 
Zurück nach Hastings, der Blick des Weib’s
56 
Wird dort den König erspähen.
 
57 
„Nach Waltham-Abtei hierher alsdann
58 
Sollt ihr die Leiche bringen,
59 
Damit wir christlich bestatten den Leib
60 
Und für die Seele singen.“
 
61 
Um Mitternacht gelangten schon
62 
Die Boten zur Hütte im Walde:
63 
„Erwache, Edith Schwanenhals,
64 
Und folge uns alsbalde.
 
65 
„Der Herzog der Normannen hat
66 
Den Sieg davon getragen,
67 
Und auf dem Feld bei Hastings liegt
68 
Der König Harold erschlagen.
 
69 
„Komm’ mit nach Hastings, wir suchen dort
70 
Den Leichnam unter den Todten,
71 
Und bringen ihn nach Waltham-Abtei,
72 
Wie uns der Abt geboten.“
 
73 
Kein Wort sprach Edith Schwanenhals,
74 
Sie schürzte sich geschwinde
75 
Und folgte den Mönchen; ihr greisendes Haar,
76 
Das flatterte wild im Winde.
 
77 
Es folgte baarfuß das arme Weib
78 
Durch Sümpfe und Baumgestrüppe.
79 
Bei Tagesanbruch gewahrten sie schon
80 
Zu Hastings die kreidige Klippe.
 
81 
Der Nebel, der das Schlachtfeld bedeckt
82 
Als wie ein weißes Lailich,
83 
Zerfloß allmählig; es flatterten auf
84 
Die Dohlen und krächzten abscheulich.
 
85 
Viel tausend Leichen lagen dort
86 
Erbärmlich auf blutiger Erde,
87 
Nackt ausgeplündert, verstümmelt, zerfleischt,
88 
Daneben die Aeser der Pferde.
 
89 
Es wadete Edith Schwanenhals
90 
Im Blute mit nackten Füßen;
91 
Wie Pfeile aus ihrem stieren Aug’
92 
Die forschenden Blicke schießen.
 
93 
Sie suchte hin, sie suchte her,
94 
Oft mußte sie mühsam verscheuchen
95 
Die fraßbegierige Rabenschaar;
96 
Die Mönche hinter ihr keuchen.
 
97 
Sie suchte schon den ganzen Tag,
98 
Es ward schon Abend – plötzlich
99 
Bricht aus der Brust des armen Weib’s
100 
Ein geller Schrei, entsetzlich.
 
101 
Gefunden hat Edith Schwanenhals
102 
Des todten Königs Leiche.
103 
Sie sprach kein Wort, sie weinte nicht,
104 
Sie küßte das Antlitz, das bleiche.
 
105 
Sie küßte die Stirne, sie küßte den Mund,
106 
Sie hielt ihn fest umschlossen;
107 
Sie küßte auf des Königs Brust
108 
Die Wunde blutumflossen.
 
109 
Auf seiner Schulter erblickt sie auch –
110 
Und sie bedeckt sie mit Küssen –
111 
Drei kleine Narben, Denkmäler der Lust,
112 
Die sie einst hinein gebissen.
 
113 
Die Mönche konnten mittlerweil’,
114 
Baumstämme zusammenfugen;
115 
Das war die Bahre, worauf sie alsdann
116 
Den todten König trugen.
 
117 
Sie trugen ihn nach Waltham-Abtei,
118 
Daß man ihn dort begrübe;
119 
Es folgte Edith Schwanenhals
120 
Der Leiche ihrer Liebe.
 
121 
Sie sang die Todtenlitanei’n
122 
In kindisch frommer Weise;
123 
Das klang so schauerlich in der Nacht –
124 
Die Mönche beteten leise. –

Details zum Gedicht „Schlachtfeld bei Hastings“

Anzahl Strophen
31
Anzahl Verse
124
Anzahl Wörter
640
Entstehungsjahr
vor 1851
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Schlachtfeld bei Hastings“ wurde von Heinrich Heine verfasst, einem der bedeutendsten deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts. Heine lebte von 1797 bis 1856, dies legt die zeitliche Einordnung in die Epoche der Romantik nahe, doch Heine selbst war oft ein Kritiker seiner Zeit und kann daher nicht immer der Romantik zugeordnet werden.

Beim ersten Lesen offenbart sich ein langes, eindringliches und tragisches Gedicht. Es erzählt die Geschichte von König Harolds Tod in der Schlacht von Hastings und dem darauf folgenden Leid und der Trauer, insbesondere durch die Augen der Geliebten des Königs, Edith Schwanenhals.

Inhaltlich geht es zunächst um einen Abt, der von Harolds Tod erfährt und zwei Mönche ausschickt, um den Leichnam des Königs zu finden. Diese kehren unglücklich und erfolglos zurück, schildern die schreckliche Situation nach der Schlacht und den Triumph der Normannen über die Sachsen. Der Abt beschließt, Edith Schwanenhals, Harolds einstige Geliebte, zu Harolds Entdeckung zu schicken. Edith, jetzt ein älteres, alleinstehendes Weib, begibt sich auf das Schlachtfeld und findet letztendlich den Leichnam Harolds.

Die Form des Gedichts ist regular, es besteht aus vierzeiligen Strophen, was eine gewisse Strenge und Ordnung in dem ansonsten chaotischen, tragischen Geschehen darstellt. Die Sprache ist klar und direkt, das lyrische Ich beschreibt die Ereignisse mit emotionaler Intensität und anschaulichen Bildern, es offenbart die Grausamkeit des Krieges und die Leere, die er hinterlässt.

Es ist Aufgabe des lyrischen Ichs, die Botschaft des Gedichts zu liefern - eine Botschaft von Verlust, Trauer und den Folgen gewalttätiger Konflikte. Es betont die Bedeutung von Liebe und Menschlichkeit inmitten von Chaos und Gewalt und stellt den Krieg und seine Folgen in all seiner Hässlichkeit dar.

Eine besondere Rolle im Gedicht spielt die Figur der Edith Schwanenhals: Als ehemalige Geliebte des Königs ist sie ein Symbol für das persönliche und emotionale Leid, das der Krieg verursacht. Ihre Figur zeigt den Schmerz, die tiefe Trauer und den Verlust, den der Krieg mit sich bringt.

Abschließend lässt sich sagen, dass „Schlachtfeld bei Hastings“ ein tiefgreifendes, emotional aufgeladenes Gedicht ist, das sowohl ästhetische, als auch politische Funktionen erfüllt. Es ruft zum Nachdenken und Hinterfragen von Krieg und Gewalt auf.

Weitere Informationen

Heinrich Heine ist der Autor des Gedichtes „Schlachtfeld bei Hastings“. Im Jahr 1797 wurde Heine in Düsseldorf geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1851. In Hamburg ist der Text erschienen. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Bei Heine handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 124 Versen mit insgesamt 31 Strophen und umfasst dabei 640 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Heinrich Heine sind „Ach, die Augen sind es wieder“, „Ach, ich sehne mich nach Thränen“ und „Ach, wenn ich nur der Schemel wär’“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Schlachtfeld bei Hastings“ weitere 535 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Heinrich Heine

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Heinrich Heine und seinem Gedicht „Schlachtfeld bei Hastings“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Heinrich Heine (Infos zum Autor)

Zum Autor Heinrich Heine sind auf abi-pur.de 535 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.