Sauflied, ganz allein von Kurt Tucholsky

Manchmal denke ich an dich;
das bekommt mich aber nich,
denn am nächsten Tag bin ich so müde.
Du mein holdes Glasgespinst!
Ob du dich auf mich besinnst?
Morgens warst du immer etwas prüde.
Darum trink ich auf dein Wohl
dieses Gläschen Alkohol!
Braun und blond – rot und schwarz –
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Ihr sollt leben!
 
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Kind, der Wein der schmeckt nach Leim,
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denn er stammt aus Rüdesheim –
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und sein Schein wird blaß und blasser.
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Ich schenk mir noch ein Gläschen ein,
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denn sie haben dort am Rhein
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so ein gut’s, gesundes Wasser.
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Und darum trink ich auf dein Wohl
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dieses Fläschchen Alkohol!
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Braun und blond – rot und schwarz –
20 
ihr sollt leben!
 
21 
Deine Augen waren blau
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ganz genau wie bei der Frau
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Erna Margot Glyn Kaliski.
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Rheinwein ist nicht stark genug,
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darum nehm ich einen Schluck
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von dem guten, gelben Whisky.
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Und ich trinke auf dein Wohl
28 
dieses Fläschchen Alikol –
29 
Braun und blond – black and white …
30 
Ihr sollt leben!
 
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Tinte, Rotwein und Odol
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sind drei Flüssigkeiten wohl –
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davon kann der Mensch schon leben.
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So schön kannst du gar nicht sein,
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wie in meinen Träumerein –
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so viel kannst du gar nicht geben.
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Allerschönste Frauenzier,
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ach, wie gut, daß du nicht hier!
39 
O, wie gerne man doch küßt,
40 
wenn die Frau wo anders ist …!
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Und darum trink ich auf dein Wohl!
42 
Nun ade, mein Land Tirol!
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Lebe wohl! Nur in den kleinen Räuschen
44 
lebe wohl, kann die Frau uns nicht enttäuschen!
45 
Lebe wohl! Mein Land Tirol!
46 
Lebe wohl –! Lebe wohl –!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.8 KB)

Details zum Gedicht „Sauflied, ganz allein“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
46
Anzahl Wörter
245
Entstehungsjahr
1931
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das gegebene Gedicht „Sauflied, ganz allein“ entstammt der Feder von Kurt Tucholsky (1890-1935), einem deutschen Journalisten und Schriftsteller der Weimarer Republik. Tucholsky war bekannt für seine scharfsinnige und oft sarkastische sozialkritische Dichtung.

Auf den ersten Blick erfasst man die Trinkerstimmung, die das Gedicht durchdringt; es ist das Selbstgespräch eines betrunkenen Mannes, der sich in melancholischer Stimmung an eine verlorene Liebe erinnert.

Thematisch geht das Gedicht um den Alkoholkonsum des lyrischen Ichs, der es nutzt, um seine Gefühle der Verlorenheit und des Herzschmerzes zu betäuben. Durch den Alkohol verwischt das lyrische Ich die Realität und flüchtet sich in nostalgische Träume und romantische Erinnerungen. In seiner Betrunkenheit idealisiert das lyrische Ich die Vergangenheit und die abwesende Geliebte, die in ihrem Fehlen beinahe zur perfekten Frau wird. Trotz dieser Sehnsucht ist ein gewisser Zynismus und Sarkasmus festzustellen, der die Aussagen des lyrischen Ichs unterminiert und darauf hinweist, dass es sich der Realitätsflucht durch den Alkohol bewusst ist.

Formal besteht das Gedicht aus vier Strophen mit unterschiedlichen Verszahlen (10, 10, 10, 16), die jeweils in ähnlichen Sätzen enden, was dem Gedicht eine Wiederholungsstruktur verleiht. Jede Strophe enthält eine Mischung aus Betrachtungen der Geliebten, Reflexionen über den Alkoholkonsum und abschließenden Toasts auf das Leben. Die Sprache ist umgangssprachlich mit gelegentlichen Anspielungen auf Trinksprüche und Parolen, was zur Unmittelbarkeit und Authentizität der dargestellten Trinksituation beiträgt. Unterstreicht wird dies durch den teilweise derben und intimen Charakter des Gedichts, der die innere Zerrissenheit und den Kampf des lyrischen Ichs verdeutlicht.

Abschließend lässt sich sagen, dass Tucholskys „Sauflied, ganz allein“ ein ausdrucksstarkes Gedicht ist, das auf eindrückliche Weise die Rolle des Alkohols als Mittel zur Bewältigung von Verlust und Einsamkeit thematisiert und dabei eine reiche Mischung aus Melancholie, Zynismus und Realitätsflucht bietet.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Sauflied, ganz allein“ des Autors Kurt Tucholsky. Der Autor Kurt Tucholsky wurde 1890 in Berlin geboren. 1931 ist das Gedicht entstanden. Berlin ist der Erscheinungsort des Textes. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Republik hatten erheblichen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik. Das wohl bedeutendste Merkmal der Literatur in der Weimarer Republik ist die Neue Sachlichkeit, die so heißt, da sie schlicht, klar, sachlich und hoch politisch ist. Die Literatur dieser Zeit war nüchtern und realistisch. Ebenso stellt sie die moderne Gesellschaft kühl distanziert, beobachtend, dokumentarisch und exakt dar. Die Autoren der Literaturepoche wollten so viele Menschen wie möglich mit ihren Texten erreichen, deshalb wurde eine einfache und nüchterne Alltagssprache verwendet. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung eines Politikers das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das im Jahr 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht im Ausland suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk im Heimatland bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist religiöse oder politische Gründe den Ausschlag. Die deutsche Exilliteratur entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten zum Beispiel die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Die Themen der deutschen Exilliteratur lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Schriftsteller fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oft konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Tätigkeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die thematischen Schwerpunkte in ihren Werken. Die anderen Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte einerseits die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Andererseits aber auch den Widerstand unterstützen. Spezielle formale Merkmale weist die Exilliteratur nicht auf. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Literaturepoche geboren wurden. Das epische Theater von Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Flugblätter und Radioreden der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten erwähnenswert. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das Gedicht besteht aus 46 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 245 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Kurt Tucholsky sind „An die Meinige“, „An einen garnisondienstfähigen Dichter“ und „An ihren Papa“. Zum Autor des Gedichtes „Sauflied, ganz allein“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

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