An meinen Sohn von Percy Bysshe Shelley
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Die Wogen schäumen und tosen am Strand, |
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Schwach ist und klein der Kahn, |
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Schwarz grollt das Meer, und am Himmelsrand |
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Schon dunkelt des Sturmes Nahn. |
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O komm mit mir, geliebter Sohn, |
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Komm mit mir! ob die Wellen drohn |
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Und die Winde heulen, wir müssen an Bord, |
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Sonst reißen die Schergen der Macht dich fort! |
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Sie raubten dir Bruder und Schwesterlein, |
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Und ihr Herz entfremden sie dir; |
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Ihres Lächelns Reiz, ihrer Thränen Schein, |
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Der heil’gen, verlöschten sie mir. |
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Ein todter Glaube, ein Schmachgesetz |
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Warf um ihr jugendlich Haupt sein Netz, |
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Und fluchen werden sie mir und dir, |
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Weil freie Menschen und furchtlos wir, |
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So komm mit mir, geliebtes Kind! |
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An deiner Mutter Brust |
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Schläft noch, gewiegt im Schlummer lind, |
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Ein zweites unbewußt. |
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Das lacht dich an so süß und lieb, |
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Und freut sich dessen, was uns blieb, |
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Und wird auf ferner Lande Rain |
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Dein liebster Spielgenosse sein |
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Nicht ewig herrscht der Tyrannen Wort |
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Und der Priester schmählich Gebot. |
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Sie stehn an des wüthenden Stromes Bord, |
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Und besudeln sein Wasser mit Tod. |
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Aus tausend Thälern ihm Zufluß quillt, |
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Rings um sie schäumt er und tobt und schwillt, |
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Und Schwert und Scepter entfluthen weit, |
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Zerknickt, auf den Wogen der Ewigkeit. |
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Still! weine nicht, du theures Kind! |
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Du fürchtest den schaukelnden Kahn, |
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Und den kalten Schaum und den pfeifenden Wind? |
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Wir wollen dich schützend umfahn. |
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Deine Mutter und ich, wir kennen die Macht |
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Des Sturmes wohl, der dich zittern macht, |
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Mit all’ seiner schaurigen Gräber Hut, |
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Die so schaurig nicht, wie der Schergen Wuth, |
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Die dich forthetzt über die schirmende Fluth. |
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Gedenken wirst du an diesen Tag |
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Wie an Träume von altem Weh; |
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Bald wird uns umrauschen der Wellenschlag |
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Der blauen italischen See; |
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Oder Hellas umfängt uns, die Mutter der Frein, |
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Und ich will Lehrer und Freund dir sein, |
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Daß du rufen lernst ihre Helden all’ |
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In ihrer eigenen Sprache Schall, |
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Und, ganz von hellenischem Geist durchloht, |
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Dort fordern mögest in Noth und Tod |
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Dein Heimatsrecht als Patriot. |
Details zum Gedicht „An meinen Sohn“
Percy Bysshe Shelley
6
52
325
1819
Klassik,
Romantik,
Biedermeier
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichts ist Percy Bysshe Shelley, ein bedeutender englischer Lyriker der Romantik. Er schrieb dieses Gedicht vermutlich im frühen 19. Jahrhundert.
Bei der ersten Lektüre vermittelt das Gedicht einen Eindruck von Drama, Liebe und Sehnsucht nach Freiheit. Es porträtiert eine intensive und kraftvolle Verbindung zwischen dem lyrischen Ich, vermutlich dem Vater, und dem addresierten „geliebten Sohn“.
Der Inhalt des Gedichts scheint eine Mahnung des lyrischen Ichs an seinen Sohn zu sein, vor den Mächten der Unterdrückung zu fliehen und das Streben nach Freiheit und Eigenständigkeit zu bewahren. Der Vater umschreibt die drohende Gefahr und drückt seine Sorge darüber aus, dass sein Sohn der Tyrannei und Unterdrückung zum Opfer fallen könnte. Er ermutigt seinen Sohn, mit ihm auf eine symbolische Reise zu gehen, die sowohl mit konkreten und abstrakten Gefahren verbunden ist.
Auf der Ebene der Form und Sprache ist auffällig, dass das Gedicht aus sechs Strophen mit unterschiedlicher Länge besteht. Sprachbilder und Metaphern sind die prägenden Stilmittel. Dramatische Bilder des Meeres und des Sturms symbolisieren eine unsichere und potenziell gefährliche Welt, während die Erwähnung des „schaukelnden Kahns“ die von den Eltern angebotene Sicherheit symbolisiert. Auch der Kontrast zwischen Tod und Leben, Dunkelheit und Licht ist signifikant, besonders in Bezug auf das mächtige metaphorische Bild der „Wogen der Ewigkeit“.
Shelleys Gedicht ist also ein kraftvolles Plädoyer für Freiheit, Individualität und den Mut zur Selbstbestimmung, gerahmt von einer intensiven Vater-Sohn-Beziehung und dramatischen Bildern einer gefährlichen Welt. Es ist sowohl eine Abschreckung vor Unterdrückung als auch eine Mut machende Aufforderung, die eigenen inneren Werte und Ziele zu verfolgen.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „An meinen Sohn“ des Autors Percy Bysshe Shelley. 1792 wurde Shelley in Sussex, England geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1819. Erschienen ist der Text in Hildburghausen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Klassik, Romantik oder Biedermeier zugeordnet werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das 325 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 52 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Die Gedichte „England im Jahr 1819“, „Gedanken eines Republikaners beim Sturz Bonaparte’s“ und „Größe“ sind weitere Werke des Autors Percy Bysshe Shelley. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „An meinen Sohn“ keine weiteren Gedichte vor.
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