Sanct Martin von Ignaz Franz Castelli
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Sankt Martin mit viel Rittersleut’ |
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Wohl über’s Feld zum Jagen reit’t, |
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Und als sie kamen an einen Hag, |
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Ein nackter Mann an der Straße lag, |
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Dem klapperten vor Frost die Zähne, |
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Und an der Wimper fror ihm die Thräne; |
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Er rang die Hände und bat mit Beben, |
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Sie möchten ihm ein Almosen geben, |
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Und alle die Ritter die zogen fürbas, |
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Den nackten Armen gab Keiner was. |
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Sie wendeten von ihm das Angesicht, |
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Die Jammergestalt zu schauen nicht; |
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Der Martin aber sein Roß hielt an: |
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„Von mir, du Armer, sollst was ha’n!“ |
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Er nimmt sein Schwert und alsogleich |
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Haut er seinen Mantel — gesticket reich |
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Mit Gold und Silber — entzwei in Eil |
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Und gibt dem Nackten den einen Theil, |
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Die and’re Hälft’ er selber behalt’t, |
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Und reitet den Andern nach in den Wald. |
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Und wie den Martinus erblickte die Rott’, |
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Überhäuften sie ihn mit Hohn und Spott: |
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„Da seht nur einmal den Narren an, |
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Er theilt sein Kleid mit dem Bettelmann; |
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Der halbe Mantel steht ihm gar schön, |
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Er kann damit zum Pankette gehn, |
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Damit ihn künftig mag Jeder erkennen, |
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So woll’n wir den halben Ritter ihn nennen.“ |
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Sie lachten und witzelten noch gar viel, |
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Martinus war all ihres Spottes Ziel. |
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Doch wie der Abend zu dämmern beginnt, |
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So wehet ein kalter, schneidender Wind, |
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Die Ritter hüllten sich alle fein |
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In ihre großen Mäntel ein, |
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Und wollten reiten sogleich von hinnen, |
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Doch konnten sie keinen Ausweg gewinnen, |
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Nur immer tiefer kamen s’ in Wald, |
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Und pfiff der Wind noch einmal so kalt; |
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Sie jammerten sehr und vermeinten schier |
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Sie müßten vor Kälte heut sterben hier. |
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Martinus nur mit dem halben Kleid |
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Empfindet’s nicht, daß der Wind so schneid’t, |
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Er lächelt über ihr Schnappern und Bangen |
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Und sitzt auf dem Roß mit glühenden Wangen. |
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Und jetzo ein rosenfarbiges Licht |
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Hervor aus der dunkelen Wildniß bricht, |
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Und unter die Starrenden tritt heran |
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Herr Christ, mit dem halben Kleid angethan, |
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Das jenem Armen Martinus gegeben, |
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Und um ihn herum seine Engelein schweben. |
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Und Jesus sich zu Martino wendet: |
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„Ja wahrlich, was ihr den Armen spendet, |
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Das habet ihr mir selber gegeben, |
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Und Früchte tragt’s euch im Tod und im Leben; |
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Jedwede Wohlthat, noch so klein, |
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Wird euch erwärmen und lohnend seyn.“ |
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Sie fielen all auf ihr Angesicht |
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Und Jesus verschwand — doch des Glaubens Licht |
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Es leuchtete über dem heidnischen Haufen; |
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Sie ließen sich alle zu Christen taufen. |
Details zum Gedicht „Sanct Martin“
Ignaz Franz Castelli
6
60
401
1844
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Sanct Martin“ des Autors Ignaz Franz Castelli. Der Autor Ignaz Franz Castelli wurde 1781 in Wien geboren. Im Jahr 1844 ist das Gedicht entstanden. Ant. Pichler's sel. Witwe, Wien ist der Erscheinungsort des Textes. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das vorliegende Gedicht umfasst 401 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 60 Versen. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Sanct Martin“ keine weiteren Gedichte vor.
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