Samuels Erscheinung vor Saul von Rainer Maria Rilke

Da schrie die Frau zu Endor auf: Ich sehe —
Der König packte sie am Arme: Wen?
Und da die Starrende beschrieb, noch ehe,
da war ihm schon, er hätte selbst gesehn:
 
Den, dessen Stimme ihn noch einmal traf:
Was störst du mich? Ich habe Schlaf.
Willst du, weil dir die Himmel fluchen
und weil der Herr sich vor dir schloß und schwieg,
in meinem Mund nach einem Siege suchen?
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Soll ich dir meine Zähne einzeln sagen?
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Ich habe nichts als sie ... Es schwand. Da schrie
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das Weib, die Hände vors Gesicht geschlagen,
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als ob sie’s sehen müßte: Unterlieg —
 
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Und er, der in der Zeit, die ihm gelang,
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das Volk wie ein Feldzeichen überragte,
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fiel hin, bevor er noch zu klagen wagte:
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so sicher war sein Untergang.
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Die aber, die ihn wider Willen schlug,
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hoffte, daß er sich faßte und vergäße;
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und als sie hörte, daß er nie mehr äße,
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ging sie hinaus und schlachtete und buk
 
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und brachte ihn dazu, daß er sich setzte;
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er saß wie einer, der zu viel vergißt:
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alles was war, bis auf das Eine, Letzte.
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Dann aß er, wie ein Knecht zu Abend ißt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25 KB)

Details zum Gedicht „Samuels Erscheinung vor Saul“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
25
Anzahl Wörter
190
Entstehungsjahr
1918
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Samuels Erscheinung vor Saul“ stammt von dem renommierten Lyriker Rainer Maria Rilke, der von 1875 bis 1926 lebte. Eine genaue zeitliche Einordnung des Gedichts ist schwierig, denn Rilke publizierte seine Werke über einen Zeitraum von fast 30 Jahren. Zudem sind seine Gedichte häufig von zeitloser Schönheit und Tiefe, die sie unabhängig vom genauen Entstehungsjahr lesenswert machen.

Auf den ersten Blick hinterlässt das Gedicht einen dramatischen und spannungsgeladenen Eindruck - es wirken Elemente des Übersinnlichen und des Tragischen zusammen. Es bezeichnet eine Begegnung zwischen König Saul und dem Geist des verstorbenen Propheten Samuel, die von einer Hexe in Endor herbeigeführt wurde. Dies ist eine Geschichte aus dem Alten Testament.

Rilke schildert diese Begegnung aus einer faszinierend persönlichen Perspektive. Das lyrische Ich scheint die Rolle des Beobachters einzunehmen, der die Ereignisse zusammenfasst und interpretiert. Samuel erscheint und kritisiert Saul hart, prophezeit ihm sogar den Untergang. Saul wird als ein Mann dargestellt, der gewohnt ist, die Kontrolle zu behalten - doch diese Erfahrung erschüttert ihn zutiefst.

Die Sprache des Gedichts ist reich an Metaphern und starken Bildern. Rilkes Worte erzeugen eine intensive Atmosphäre, die Zeugnis ablegt von der Macht und dem Fremden der übersinnlichen Welt und von der Einsamkeit und Verzweiflung Sauls. Der Wechsel der Strophengrößen unterstreicht die Dynamik des Geschehens auch formal und das Versmaß verleiht dem Gedicht einen tragischen Rhythmus, unterstreicht die Dramatik und Spannung des Geschehens.

Rilkes Fähigkeit, tiefgründige menschliche Erfahrungen in unvergessliche Worte zu fassen, kommt in diesem Gedicht einmal mehr zum Ausdruck. Es stellt den tragischen Niedergang eines mächtigen Mannes dar, der am Ende, wie ein Knecht, in Demut sein letztes Abendmahl einnimmt. Es ist eine poetische Erinnerung an die Vergänglichkeit des Lebens und die schicksalhaften Wendungen, die es bereithält.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Samuels Erscheinung vor Saul“ des Autors Rainer Maria Rilke. Rilke wurde im Jahr 1875 in Prag geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1918 entstanden. Erschienen ist der Text in Leipzig. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Rilke ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 190 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 25 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Rainer Maria Rilke sind „Am Kirchhof zu Königsaal“, „Am Rande der Nacht“ und „An Julius Zeyer“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Samuels Erscheinung vor Saul“ weitere 338 Gedichte vor.

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