Räte-Marseillaise von Erich Mühsam

Wie lange, Völker, wollt ihr säumen?
Der Tag steigt auf, es sinkt die Nacht.
Wollt ewig ihr von Freiheit träumen,
da schon die Freiheit selbst erwacht?
Vernehmt die Rufe aus dem Osten!
Vereinigt euch zu Kampf und Tat!
Die Stunde der Befreiung naht!
Laßt nicht den Stahl des Willens rosten!
Auf, Völker, in den Kampf!
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Zeigt euch der Brüder wert!
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Die Freiheit ist das Feldgeschrei,
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die Räte sind das Schwert!
 
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Der Reiche bangt um seine Renten.
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Er kauft der Wähler große Zahl,
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und das Geschwätz in Parlamenten
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beschützt sein heiliges Kapital.
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Verlorne Mühe, auszujäten,
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was fruchtbar aus dem Boden schießt!
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Schweig, Reicher, still! Das Volk beschließt,
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das freie Volk in seinen Räten!
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Auf, Völker, in den Kampf! usw.
 
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Auf, Arbeitsmann, Soldat und Bauer!
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Schafft Räte aus den eignen Reihn!
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Und stoßt damit die morsche Mauer
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jahrhundertalter Knechtschaft ein!
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Längst steht der Russe auf dem Walle.
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Ihm folgt der tapfere Magyar.
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Wie lange säumst du, Proletar?
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Wie lange säumt ihr Völker alle?
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Auf, Völker, in den Kampf! usw.
 
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Es gilt den letzten Hieb zu führen.
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Zu brechen gilt’s den Herrscherwahn.
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Laßt uns die Glut des Kampfes schüren.
34 
Dem Sozialismus freie Bahn!
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Was einst die Lehrer uns verkündet:
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in Trümmer sinkt die alte Welt.
37 
Auf ihre Räte Recht gestellt,
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so stehn die Völker frei verbündet!
39 
Auf, Völker, in den Kampf! usw.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Räte-Marseillaise“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
39
Anzahl Wörter
220
Entstehungsjahr
1920
Epoche
Expressionismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Räte-Marseillaise“ wurde von Erich Mühsam verfasst, der von 1878 bis 1934 lebte. Damit fällt das Gedicht in die Epoche des beginnenden 20. Jahrhunderts zur Zeit des Ersten Weltkriegs und des Sturzes der deutschen Monarchie hin zur Weimarer Republik.

Der erste Eindruck des Gedichts ist stark engagiert, kämpferisch und politisch. Es scheint ein Aufruf zu sein, für die Freiheit der Völker und Individuen zu kämpfen.

Im Inhalt appelliert das lyrische Ich an die Völker, nicht mehr länger zu warten, sondern aktiv für ihre Freiheit einzutreten - die Freiheit, die bereits erwacht ist (Verse 1-4). Betont wird die Notwendigkeit des Handelns (Vers 6 und 8), bezugnehmend auf die Situation im Osten (Vers 5), vermutlich in Bezug auf die russische Revolution. In den weiteren Strophen erklärt das lyrische Ich, dass es unproduktiv ist, gegen das Streben der Völker anzukämpfen (Vers 17-18), und betont, dass es die Aufgabe des Volkes ist, über ihre Situation zu bestimmen (Vers 20). Die letzte Strophe bekräftigt das Ziel, das die Völker anstreben sollten: den Sozialismus (Vers 34).

Formal besteht das Gedicht aus vier Strophen unterschiedlicher Länge mit einem wiederkehrenden Refrain „Auf, Völker, in den Kampf!“ Der Sprachstil ist durch die Einfachheit der Wörter, starken emotionalen Ausdrücke und Imperative oder Aufforderungen gekennzeichnet.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gedicht ein starkes Zeichen des politischen und sozialen Bewusstseins in einer turbulenten Zeit der Geschichte ist. Es spiegelt die revolutionären Ideen seiner Zeit wider und Mühsams eigenes Engagement für eine gerechtere und freie Gesellschaft im Rahmen des Rätesystems. Das lyrische Ich identifiziert sich offensichtlich mit den Massen und ihrem Streben nach Freiheit und Gleichheit und fordert sie auf, für ihre Rechte zu kämpfen. Der häufige Appell „Auf, Völker, in den Kampf!“ betont die Dringlichkeit dieses Handelns. In diesem Kontext steht das „Schwert“ metaphorisch für Kampf und Widerstand gegen Unterdrückung und Unfreiheit, während die „Räte“ das revolutionäre Werkzeug und die Organisationsform darstellen.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Räte-Marseillaise“ des Autors Erich Mühsam. Mühsam wurde im Jahr 1878 in Berlin geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1920 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist München. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Expressionismus zu. Der Schriftsteller Mühsam ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 220 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 39 Versen. Weitere Werke des Dichters Erich Mühsam sind „Barbaren“, „Bauchweh“ und „Betäubung“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Räte-Marseillaise“ weitere 57 Gedichte vor.

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