Rußland von Kurt Tucholsky

Es brodelt, es brabbelt, es raunt in der Welt:
Rußland! Rußland!
Sie morden! Sie plündern! sie rauben das Geld!
Rußland! Rußland!
Wie sie die Fürsten durch Gossen schleifen –
das wird auf den Nachbarn übergreifen!
Sie arbeiten nicht! Alles bleibt stehn!
Das Chaos! So kann das nicht weitergehn …!
Sperrt die Grenzen ab! Der Prolet wird begehrlich!
10 
Rußland –
11 
Rußland ist gefährlich.
 
12 
1931
 
13 
Es brodelt, es brabbelt, es raunt in der Welt:
14 
Rußland? Rußland?
15 
Der Fünfjahresplan glückt! Das System, es hält!
16 
Rußland? Rußland?
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Wie sie arbeiten! Wie ihre Pläne reifen!
18 
Das kann auf den Nachbarn übergreifen!
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Es geht ihnen besser … Was wird da geschehn?
20 
Wenn sie exportieren? Das kann nicht gehn.
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Nieder mit Rußland! Die Kerls sind nicht ehrlich!
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Rußland –
23 
Rußland ist gefährlich.
 
24 
*
 
25 
Sie toben, vom wilden Affen gebissen.
26 
Rußland ist ihr schlechtes Gewissen.
27 
Propaganda glüht.
28 
Und sogar den Papst haben sie bemüht.
29 
Ist etwas auf Erden schief und krumm,
30 
dann riecht es bestimmt nach Petroleum.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.9 KB)

Details zum Gedicht „Rußland“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
152
Entstehungsjahr
1931
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts „Rußland“ ist Kurt Tucholsky, ein bekannter deutscher Journalist, Schriftsteller und Sozialist. Tucholsky wurde 1890 geboren und starb 1935, somit kann das Gedicht der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zugeordnet werden, einer Zeit politischer Umbrüche und des Aufstiegs des Kommunismus in Europa.

Auf den ersten Anschein ist dieses Gedicht eine nachdrückliche und scharfsinnige Kritik an Russland und den dort herrschenden politischen Zuständen. Es spiegelt die damals in der westlichen Welt verbreiteten Ansichten über Russland wider und legt dabei eine satirische Schärfe an den Tag.

Die erste Strophe berichtet von einem Russland, das in Chaos und Anarchie versinkt, sobald es unter kommunistischer Herrschaft weitermacht. Die Rufe des lyrischen Ichs rufen zur Vorsicht auf und zeigen ein Bild von fehlender Ordnung und Zerstörung.

In der zweiten Strophe ändert sich jedoch der Ton des Gedichts und man wird mit einem Russland konfrontiert, das unter dem Fünfjahresplan Fortschritte macht. Nichtsdestotrotz hält die Warnung des lyrischen Ichs weiter an: wenn Russlands Modell Erfolg hat, könnte es auch auf westliche Länder übergreifen.

Die Abschließenden Verse des Gedichts zeigen, wie Russland immer noch als Bedrohung betrachtet wird - obwohl es jetzt erfolgreich scheint, gibt es noch immer Gefahr, und das Selbstbild des Westens wird durch den Vergleich mit Russland auf die Probe gestellt.

In Bezug auf die Form und die Sprache des Gedichts folgt Tucholsky keinem festen Reimschema. Die Wiederholung von „Rußland“ am Ende jeder Strophe schafft jedoch einen Rhythmus und zieht das Thema des Gedichts - die Wahrnehmung Russlands - konsequent durch den gesamten Text. Tucholsky nutzt harte, ungeschönte Wortwahl und schafft damit eine bedrohliche Stimmung.

Zusammengefasst verdeutlicht das Gedicht „Rußland“ von Kurt Tucholsky die polarisierte Sicht auf Russland im frühen 20. Jahrhundert. Es stellt sowohl ein von Unruhen geplagtes Land als auch einen aufstrebenden kommunistischen Staat dar und zeigt die westliche Angst und Unsicherheit hinsichtlich beider Aspekte auf. Tucholskys Gedicht ist eine lebendige Reflexion der damaligen politischen Landschaft und der damit verbundenen Ängste und Spannungen.

Weitere Informationen

Kurt Tucholsky ist der Autor des Gedichtes „Rußland“. Geboren wurde Tucholsky im Jahr 1890 in Berlin. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1931. Erschienen ist der Text in Berlin. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zuordnen. Der Schriftsteller Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

In der Literatur der Weimarer Republik wurden auf inhaltlicher Ebene häufig die Ereignisse des Ersten Weltkrieges verarbeitet. Sowohl der Erste Weltkrieg als auch die späteren politischen Gegebenheiten der Weimarer Republik sind prägende Faktoren für diese Epoche. Neue Sachlichkeit ist eine Richtung der Literatur der Weimarer Republik. In den Werken dieser Epoche ist die zwischen den Weltkriegen hervortretende Tendenz zu illusionsloser und nüchterner Darstellung von Gesellschaft, Technik, Weltwirtschaftskrise aber auch Erotik deutlich erkennbar. Man kann dies auch als Reaktion auf den literarischen Expressionismus werten. Die Handlung wurde meist nur kühl und distanziert beobachtet. Die Dichter orientierten sich dabei an der Realität. Mit einem Minimum an Sprache wollte man ein Maximum an Bedeutung erreichen. Mit den Texten sollten so viele Menschen wie möglich erreicht werden. Deshalb wurde darauf geachtet eine nüchterne sowie einfache Alltagssprache zu verwenden. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung eines Politikers das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das im Jahr 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Schriftsteller ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. Daraufhin flohen viele Schriftsteller aus Deutschland. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Exilliteratur lässt sich insbesondere an den typischen Themenschwerpunkten wie Sehnsucht nach der Heimat, Widerstand gegen Nazi-Deutschland oder Aufklärung über den Nationalsozialismus erkennen. Anders als andere Literaturepochen, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Literaturepoche geboren wurden. Das epische Theater von Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Radioreden oder Flugblätter der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten erwähnenswert. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das Gedicht besteht aus 30 Versen mit insgesamt 5 Strophen und umfasst dabei 152 Worte. Die Gedichte „Abschied von der Junggesellenzeit“, „Achtundvierzig“ und „All people on board!“ sind weitere Werke des Autors Kurt Tucholsky. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Rußland“ weitere 136 Gedichte vor.

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