Rußland von Theodor Fontane

Wer auf die Zukunft schwört und unbekümmert
Der ew’gen Kraft des Geistes noch vertraut,
Die, gleich dem Meere, eine Welt zertrümmert,
Und eine neue, schönre auferbaut;
Wer, ihr vertrauend, unser Krämerleben
Ob jener Zeit, die kommen muß, vergißt,
Der fliehe Dich, wo keine Geister weben,
Und jede Hoffnung eitel Thorheit ist.
 
Wer, trotz der Dürre, seines Fleißes Segen –
10 
Der Freiheit Saat, voll guten Muths erblickt,
11 
Die junge Saat, von keinem Sommerregen,
12 
Doch, über Nacht, von frischem Thau erquickt;
13 
Der fliehe Dich, wo auf den stein’gen Boden
14 
Nur Mehlthau fällt, der jeden Keim zerfrißt,
15 
Wo’s noch gelingt „solch Unkraut“ auszuroden,
16 
Und jede Hoffnung eitel Thorheit ist.
 
17 
Doch wer, verzweifelnd ob so langem Harren,
18 
Der Hoffnung Prachtbau selber niederreißt,
19 
Und unser Thun das Streben eines Narren,
20 
Und unsren Glauben „Geistesschwäche“ heißt;
21 
Der suche Dich, und find’ in dir betroffen
22 
Ein Maaß, daran er unsre Größe mißt,
23 
Und lerne dorten für die Heimath hoffen,
24 
Wo jede Hoffnung eitel Thorheit ist.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.7 KB)

Details zum Gedicht „Rußland“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
160
Entstehungsjahr
1851
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht ist „Rußland“ von Theodor Fontane, einem wichtigen Vertreter des poetischen Realismus in Deutschland, das vermutlich im späten 19. Jahrhundert verfasst wurde. Fontane, der in der Zeit des politischen und sozialen Umbruchs lebte, ist bekannt für seine kritische und scharfsinnige Beobachtung seiner Umgebung.

Beim ersten Eindruck fällt darin eine gewisse Schwere auf, die sich in einer eher düsteren und pessimistischen Grundstimmung äußert. Das Gedicht wird durch die beständige Wiederholung des Negativs „eitel Thorheit“ am Ende jeder Strophe besonders geprägt.

Im Hinblick auf den Inhalt wird im Gedicht eine Auseinandersetzung mit der Zukunft und den damit verbundenen Hoffnungen deutlich. Das lyrische Ich scheint hierbei eine kritische Haltung gegenüber dem Progress und Optimismus einzunehmen, den es mit dem Begriff „Krämerleben“ (Vers 5) abwertend charakterisiert. Darüber hinaus wird eine Dystopie vorgezeichnet, in der menschliche Anstrengungen nichts bringen („seines Fleißes Segen„-Vers 9) und alle Hoffnungen in die Zukunft vergeblich sind („Und jede Hoffnung eitel Thorheit ist“). Das lyrische Ich scheint jedoch in der dritten Strophe eine gewisse Hoffnung auszudrücken, wenn es sagt, „der suche Dich“, was andeutet, dass es trotz alledem eine Zukunft für „die Heimath“ erwartet(vers 23).

Form und Sprache des Gedichts sind recht gehoben und pathetisch, was durch den repetitiven Gebrauch von Begriffen wie „ewig“, „unendlich“, „Kraft“, „Geist“ oder „Hoffnung“ verdeutlicht wird. Jede der drei Strophen besteht aus jeweils acht Versen, was eine klare Form herstellt. Der jeweilige Refrain 'Und jede Hoffnung eitel Thorheit ist.' wiederholt sich am Ende jeder Strophe und unterstreicht die von Fontane kritisierte Hoffnungslosigkeit. Die konsequente Verfolgung des Reimschemas ABAB unterstützt den Rhythmus des Gedichts und verleiht ihm eine melodische Struktur, die seine Wirkung noch verstärkt. Interpretatorisch könnte man in Fontanes Gedicht die Auseinandersetzung mit dem Modernisierungsprozess sehen, der im 19. Jahrhundert stattfand und viele Hoffnungen, aber ebenso viele Zweifel und Ängste mit sich brachte.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Rußland“ ist Theodor Fontane. Fontane wurde im Jahr 1819 in Neuruppin geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1851 zurück. Erscheinungsort des Textes ist Berlin. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Realismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Fontane ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 160 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Theodor Fontane sind „Aber es bleibt auf dem alten Fleck“, „Afrikareisender“ und „Alles still!“. Zum Autor des Gedichtes „Rußland“ haben wir auf abi-pur.de weitere 214 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Theodor Fontane

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Theodor Fontane und seinem Gedicht „Rußland“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Theodor Fontane (Infos zum Autor)

Zum Autor Theodor Fontane sind auf abi-pur.de 214 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.