Riedligers Tochter von Johann Peter Hebel

Spinnet, Töchterli, spinnet, und Jergli leng mer der Haspel!
D’Zit vergoht, der Obed chunnt und ’s streckt’ si ins Früeihjohr.
Bald gohts wieder use mit Hauen und Rechen in Garte.
Werdet nur flißig und brav, wie ’s Riedligers Tochter!
In de Berge stoht e Huus, es wachse iez Wesme
uffem verfallene Dach, und ’s regnet aben in d’Stube.
Frili ’s isch scho alt, und sin iez anderi Zite,
weder wo der Simme-Friz und ’s Eveli g’huust hen.
 
Sie hen ’s Huus erbaut, die schönsti unter de Firste,
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und ihr Name stoht no näumen am rueßige Tremel.
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Het me gfrogt, wer sin im Wald die glücklichsten Ehlüt,
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het me gseit: „der Simme-Fritz und ’s Riedligers Tochter,“
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und ’s isch dem Eveli grothe mit gar verborgene Dinge.
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Spinnet, Chinder, spinnet, und Jergli hol mer au Trieme!
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Mengmol, wo der Fritz no bi den Eltere glebt het,
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het en d’Muetter gno, und gfrogt mit biwegliche Worte:
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„Hesch di no nit anderst bsunne? G’falle der ’s Meiers
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Matte no nit besser zue siner einzige Tochter?“
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Und der Fritz het druf mit ernstliche Worten erwiedert:
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„Nei, sie gfalle mer nit, und anderst b’sinni mi nümme.
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’s Riedligers suferi Tochter zue ihre Tugede gfallt mer.“ –
 
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„D’Tugede loß den Engle! Mer sin iez no nit im Himmel!“ –
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„Lönt de Chüeihe ’s Heu ab’s Meiers grasige Matte!“ –
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„D’Muetter isch e Hex!“ – „Und soll au d’Muetter e Hex sy,
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Muetter hi und Muetter her, und ’s Töchterli willi!“ –
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„’s Meidli soll’s gwiß au scho tribe, d’Nochbere sage’s.“ –
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„Sel isch en alte Bricht, und dorum chani ’s nit wende.
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Winkts mer, se mueß i cho, und heißt es mi näumis, so thuenis.
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Luegt’s mer no gar in d’Augen, und chummi em nöcher an Buese,
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wirds mer, i weiß nit wie, und möchti sterbe vor Liebi.
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’s isch ke liebliger Gschöpf, aß so ne Hexli, wo iung isch.“ –
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Näumis het d’Muetter gwüßt. Me seit, das Meideli seig gwiß
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in sim zwölfte Johr e mol elleinig im Wald gsi,
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und heb Erberi g’suecht. Uf eimol hört es e Ruusche,
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und wo’s um si luegt, se stoht in goldige Hoore,
 
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nummen en Ehle lang, e zierlig Frauweli vorem,
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inneme schwarze Gwand und g’stickt mit goldene Blueme
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und mit Edelgstei. „Gott grüeß di, Meideli!“ seit’s em,
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„spring nit furt, und förch mi nit! I thue der kei Leidli.“
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’s Eveli seit: „Gott dank der, und wenn du ’s Erdmännli’s Frau bisch,
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willi di nit förche!“ – „Io frili,“ seit es, „das bini. –
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Meideli, los, und sag: channsch alli Sprüchli im Spruchbuech?“ –
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„Io, i cha sie alli, und schöni Gibetli und Psalme.“ –
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„Meideli, los und sag: gosch denn au flißig in d’Chilche?“ –
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„Alli Sunntig se thueni. I stand im vorderste Stüehli.“ –
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„Meideli, los und sag: folgsch au, was ’s Müetterli ha will?“ –
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„He, wills Gott der Her, und froget ’s Müetterli selber!
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’s chennt ich wohl, i weiß es scho, und het mer scho viel gseit.“ –
 
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„Meideli, was hesch g’seit? Bisch öbbe ’s Riedligers Tochter?
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Wenn de mi Gotte bisch, se chumm au zue mer in d’Stube!“
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Hinter der Brumberi-Hurst gohts uf verschwiegene Pfade
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tief dur d’Felsen i. Hätt ’s Frauweli nit e Laternli
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in der Linke treit, und ’s Eveli sorgli am Arm g’füehrt,
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’s hätt der Weg nit gfunde. Iez goht e silberni Thür uf.
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„O Her Jesis, wo bini? Frau Gotte, bini im Himmel?“ –
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„Nei doch, du närrisch Chind. In mi’m verborgene Stübli
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bisch bi diner Gotte. Sitz nieder und biß mer Gottwilche!
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Gell, das sin chospere Stei an mine glitzrige Wände?
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Gell, i ha glatti Tisch? Sie sin vom suferste Marfel.
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Und do die silberne Blatten, und do die goldene Teller!
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Chumm, iß Hunig-Schnitten und schöni gwundeni Strübli!
 
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Magsch us dem Chächeli Milch? Magsch Wi im christalene Becher?“ –
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„Nei, Frau Gotte, lieber Milch im Chächeli möchti.“
 
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Wones gesse het und trunke, seit em si Gotte:
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„Chind, wenn d’flißig lehrsch, und folgsch, was ’s Müetterli ha will,
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und chunnsch us der Schuel und gohsch zuem heilige Nachtmohl,
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willi der näumis schicke. Zeig, wie, was wär der am liebste?
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Wärs das Trögli voll Plunder? Wärs do das Rädli zuem Spinne?“
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„Bald isch’s Plunder verrisse. Frau Gotte, schenket mer’s Rädli!“
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„’s Rädli will gspunne ha. Nimm lieber’s Trögli voll Plunder!
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Siehsch die sideni Chappe mit goldene Düpflene gsprenglet?
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Siehsch das Halstuech nit mit siebefarbige Streife,
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und e neue Rock, und do die gwässerti Hoorschnuer?“ –
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„Io, ’s isch mer numme z’schön. Frau Gotte, schenket mer’s Rädli!“ –
 
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„Willsch’s, se sollschs au ha, und chunnts, se halt mers in Ehre!
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Wenn de ’s in Ehre hesch, solls au an Plunder nit fehle,
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und an Segen und Glück. I weiß em verborgeni Chräfte.
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Sieder nimm das Rösli und trag mers sorglich im Buese!
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aß denn au öbbis hesch von diner heimliche Gotte!
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Los, und verlier mers nit! Es bringt der Freuden und Gsundheit.
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Wärsch mer nit so lieb, ich chönnt der io Silber und Gold ge.“
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Und iez het sie’s gchüßt, und wieder usen in Wald gfüehrt:
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„Bhüet di Gott, und halti wohl, und grüeß mer di Muetter!“ –
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So viel isch an der Sach, und deshalb het me ne nogseit,
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d’Muetter seig e Hex, und nit viel besser ihr Meidli.
 
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Nu das Meideli isch mit si’m verborgene Blüemli
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hübscher vo Tag zue Tag und alliwil liebliger worde.
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Und wo’s us der Schuel mit andere Chindere cho isch,
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und am Ostertag zuem Nachtmohl gangen und heim chunnt,
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nei, se bhüetis Gott, was stoht im heitere Stübli?
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’s Rädli vo Birbaum-Holz, und an der Chunkle ne Riste
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mitteme zierlige Band us rosiger Siden umwunde,
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unte ne Letschli dra, und ’s Gschirli zuem Netze vo Silber,
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und im Chrebs e Spüehli, und scho ne wengeli g’spunne.
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D’Gotte het der Anfang gmacht mit eigene Hände.
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Wie het mi Eveli gluegt! Was isch das Eveli gsprunge!
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Gsangbuech weg und Meie weg und ’s Rädli in d’Arm gno,
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und het’s g’chüßt und druckt. „O liebi Frau Gotte, vergelts Gott!“
 
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’s het nit z’Mittag gesse. Sie hen doch e Hammen im Chöl gha.
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’s isch nit usen ins Grüen mit andere Chindere gwandlet,
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Gspunne hets mit Händ und Füeße; het em nit d’Muetter
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’s Rädli in Chaste gstellt, und gseit: „Gedenke des Sabaths!
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Isch nit Christus, der Her, hüt vo de Todte erstande?“
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Nu di Rädli hesch. Doch Eveli, Eveli, weisch au,
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wie mes in Ehre haltet, und was d’Frau Gotte wird gmeint ha?
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Frili weisch’s, worum denn nit, und het sie ’m verheiße:
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„Wenn de ’s in Ehre hesch, solls au an Plunder nit fehle
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und am andere Sege,“ se het sie’s g’halte wie’s recht isch.
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Het nit in churzer Zit der Weber e Trogete Garn gholt?
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Hets nit alli Johr vom finste glichlige Fade
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Tuech und Tuech uf d’Bleiche treit und Strängli zuem Färber?
 
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He, me het io gseit, und wenns au dussen im Feld seig,
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’s Rädli spinn elleinig furt, und wie si der Fade
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unten in d’Spuehle zieh’, wachs’ unterm rosige Bendel
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d’Riste wieder no, – sell müeßt mer e chummligi Sach sy; –
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und wer het im ganze Dorf die suferste Chleider
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Sunntig und Werchtig treit, die reinlichsten Ermel am Hemd gha,
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und die suferste Strümpf und alliwil freudigi Sinne?
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’s Frauweli im Felse-G’halt, si liebligi Gotte.
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Drum het’s Simme’s Fritz, wo ’s achtzeh’ Summer erlebt het,
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zue der Muetter gseit mit ernstlige Mine und Worte:
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„Numme ’s Riedligers Tochter zue ihre Tugede gfallt mer.“
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Muetterherz isch bald verschreckt, zwor sotti’s nit sage.
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Wo sie wieder e mol vo ’s Meiers Tochter und Matte
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ernstlig mittem redet, und wills mit Dräue probiere:
 
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„’s git e chräftig Mittel,“ seit sie, „wenn de verhext bisch.
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Hemmer für’s Riedligers g’huust? Di Vater setzt di ufs Pflichttheil,
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und de hesch mi Sege nit, und schuldig bisch du dra.“ –
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„Muetter,“ erwiedert der Simme, „soll euer Sege verscherzt sy,
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stand i vom Eveli ab, und gehri vom Vater ke Pflichttheil.
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Z’Stette sitzt e Werber, und wo men uffeme Berg stoht,
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lütet d’Türke-Glocke an allen Enden und Orte.
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Bluet um Bluet, und Chopf um Chopf, und Leben um Lebe.
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Färbt mi Bluet e Türke-Sebel, schuldig sin ihr dra!“
 
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Wo das d’Muetter hört, se sitzt sie nieder vor Schrecke:
 
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„Du vermesse Chind, se nimm sie, wenn de sie ha witt;
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aber chumm mer nit go chlage, wenns der nit guet goht.“
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’s isch nit nöthig gsi. Sie hen wie d’Engel im Himmel
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mitenander g’lebt, und am verborgene Sege
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vo der Gotte hets nit gfehlt im hüsliche Wese.
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He, sie hen io z’letzt vo’s Meiers grasige Matte
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selber die schönsti g’meiht, ’s isch Alles endlich an Stab cho,
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und hen Freud erlebt an frumme Chinden und Enkle.
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Thüent iez d’Räder weg, und Jergli, der Haspel ufs Chästli!
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’s isch anfange dunkel und Zit an anderi G’schäfte.
 
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Und so hen si’s gmacht, und wo sie d’Räder uf d’Site
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stellen, und wen go, und schüttle d’Agle vom Fürtuech,
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seit no ’s Vreneli: „So ne Gotte möchti wohl au ha,
 
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wo eim so ne Rad chönnt helfen und so ne Rösli.“
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Aber d’Muetter erwiedert: „’s chunnt uf kei Gotten, o Vreni,
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’s chunnt uf ’s Rädli nit a. Der Fliß bringt heimlige Sege,
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wenn de schaffe magsch. Und hesch nit ’s Blüemli im Buese,
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wenn de züchtig lebsch und rein an Sinnen und Werke?
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Gang iez und hol Wasser und glitsch mer nit usen am Brunne!“

Details zum Gedicht „Riedligers Tochter“

Anzahl Strophen
16
Anzahl Verse
154
Anzahl Wörter
1605
Entstehungsjahr
nach 1776
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Johann Peter Hebel ist der Autor des Gedichtes „Riedligers Tochter“. Hebel wurde im Jahr 1760 in Basel geboren. Zwischen den Jahren 1776 und 1826 ist das Gedicht entstanden. In Karlsruhe ist der Text erschienen. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 1605 Wörter. Es baut sich aus 16 Strophen auf und besteht aus 154 Versen. Der Dichter Johann Peter Hebel ist auch der Autor für Gedichte wie „Der Bettler“, „Der Karfunkel“ und „Der Knabe im Erdbeerschlag“. Zum Autor des Gedichtes „Riedligers Tochter“ haben wir auf abi-pur.de weitere 60 Gedichte veröffentlicht.

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Zum Autor Johann Peter Hebel sind auf abi-pur.de 60 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.