Radbod von Heinrich Kämpchen

Dräuend, ein Ungetüm,
Reckt der Schachtturm seine Eisenstirn
Zum Nachthimmel. –
Um ihm, von ihm
Glimmt’s wie Totenlicht,
Wie Phosphorgefunkel,
Wie Dunst der Verwesung. –
Ein Beinhaus - riesig, ungeheuer –
(Sarkophag und Mausoleum)
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Liegt der Schacht da,
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Und die Nacht hockt darauf. –
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Sie, die Nacht,
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Wittert den Leichenduft,
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Der daraus emporsteigt,
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Feucht, nebelhaft,
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Wie die Hyäne den Grabesodem,
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Und schlürft ihn mit Wollust. –
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Radbod und Nacht! –
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Grauen zu Grauen,
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Sie gatten sich. –
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Und die Fäule im Erdbauch,
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Als Genossin sich zugesellend,
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Speit ihren Gifthauch
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Aus Kluft und Spalt –
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Odeur für Gespenster. –
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Aber das ist es nicht,
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Was die Nacht birgt
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Mit ihrem Mantel,
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Dem dichten. –
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Sie, die da unten liegen,
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Unter Trümmern und Schutt,
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Die Toten von Radbod,
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Sind doch nicht tot! –
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Wenn der Tag schläft,
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Wenn die Nacht brütet,
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Bei Schweigen und Oede
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Werden die Stimmen der Tiefe wach,
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Leben die Toten. –
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Sie winseln und wimmern nicht,
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Sie klagen und jammern nicht,
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Sie heischen Gericht,
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Sie fordern Sühne. –
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Und immer neu
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Und immer wieder,
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So lange ihr säumet,
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Wird aus der Tiefe
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Die Mahnung kommen:
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Gebt Recht den Toten!
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– – – – – – – – – – – –
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So ruft es heute,
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So wird es immer
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In Zukunft rufen,
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Wenn auf dem Schachte,
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Dem gottverfluchten,
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Dem „Mörder“ Radbod,
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Die Nacht sich lagert,
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Die graue Riesin:
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Gebt Recht den Toten! –
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27 KB)

Details zum Gedicht „Radbod“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
58
Anzahl Wörter
210
Entstehungsjahr
1909
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Zu Anfang wird der Autor des Gedichts genannt: Heinrich Kämpchen, geboren am 23. Mai 1847, gestorben am 6. März 1912. Er war ein deutscher Schriftsteller und Dramatiker. Das Gedicht trägt den Titel „Radbod“. Man könnte das Gedicht zeitlich in das Ende des 19. oder den Beginn des 20. Jahrhunderts einordnen - einer Zeit, die geprägt war durch die Industrialisierung und die damit verbundenen sozialen und politischen Veränderungen.

Auf den ersten Blick vermittelt das Gedicht eine Atmosphäre von bedrohlicher Dunkelheit und Tod. Diese Stimmung erstreckt sich über das ganze Gedicht und ist eng mit der dargestellten Industrielandschaft und den darin gefangenen Menschen verknüpft.

Inhaltlich geht es in dem Gedicht um einen Bergbauschacht namens „Radbod“, der in der Nacht als eine Art mausoleales Monument dargestellt wird. Die Nacht, in der das Unheil geschieht, verbirgt die Toten, die im Schacht begraben liegen. Sie sind aber nicht wirklich tot, denn ihre Stimmen fordern Gerechtigkeit und Sühne. Die wiederkehrende Forderung am Ende des Gedichts „Gebt Recht den Toten!“ betont die Unzufriedenheit und Ungerechtigkeit, die die Arbeiter erfahren haben.

Im Hinblick auf die Form lässt das Gedicht eine strikte Reimstruktur vermissen. Stattdessen passt sich Kämpchen einer freien Form an, die sich eher durch Rhythmus und Wiederholung definiert. Sprachlich nutzt er bildhafte und symbolische Ausdrücke, um die düstere Atmosphäre zu intensivieren und den gesellschaftlichen Protest, den das Gedicht ausdrückt, zu verdeutlichen. Insbesondere durch die Verwendung von Todes- und Grabmetaphorik („Totenlicht“, „Beinhaus“, „Verwesung“, „Genossin von Fäule und Erdbauch“) zeugt von der Kritik des Autors an den Arbeitsbedingungen im Bergbau.

Zusammenfassend kann man sagen, dass „Radbod“ von Heinrich Kämpchen ein kritisches Gedicht ist, das die schrecklichen Bedingungen der Arbeiter im Bergbau zur damaligen Zeit verurteilt und ihre Beklagung und Forderung nach Gerechtigkeit zum Ausdruck bringt. Es ist eine kraftvolle Aussage gegen eine unbarmherzige Industrialisierung und den Raubbau an Natur und Menschlichkeit.

Weitere Informationen

Heinrich Kämpchen ist der Autor des Gedichtes „Radbod“. Im Jahr 1847 wurde Kämpchen in Altendorf an der Ruhr geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1909 zurück. In Bochum ist der Text erschienen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das vorliegende Gedicht umfasst 210 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 58 Versen. Die Gedichte „Abendläuten“, „Altendorf“ und „Am Gemündener Maar“ sind weitere Werke des Autors Heinrich Kämpchen. Zum Autor des Gedichtes „Radbod“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 165 Gedichte vor.

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