Präludium von Heinrich Heine
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Dieses ist Amerika! |
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Dieses ist die neue Welt! |
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Nicht die heutige, die schon |
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Europäisiret abwelkt. – |
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Dieses ist die neue Welt! |
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Wie sie Christoval Kolumbus |
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Aus dem Ocean hervorzog. |
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Glänzet noch in Fluthenfrische, |
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Träufelt noch von Wasserperlen, |
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Die zerstieben, farbensprühend, |
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Wenn sie küßt das Licht der Sonne. |
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Wie gesund ist diese Welt! |
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Ist kein Kirchhof der Romantik, |
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Ist kein alter Scherbenberg |
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Von verschimmelten Symbolen |
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Und versteinerten Perucken. |
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Aus gesundem Boden sprossen |
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Auch gesunde Bäume – keiner |
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Ist blasirt und keiner hat |
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In dem Rückgratmark die Schwindsucht. |
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Auf den Baumes-Aesten schaukeln |
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Große Vögel. Ihr Gefieder |
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Farbenschillernd. Mit den ernsthaft |
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Langen Schnäbeln und mit Augen, |
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Brillenartig schwarz umrändert, |
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Schaun sie auf dich nieder, schweigsam – |
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Bis sie plötzlich schrillend aufschrei’n |
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Und wie Kaffeeschwestern schnattern. |
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Doch ich weiß nicht, was sie sagen, |
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Ob ich gleich der Vögel Sprachen |
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Kundig bin wie Salomo, |
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Welcher tausend Weiber hatte, |
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Und die Vögelsprachen kannte, |
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Die modernen nicht allein, |
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Sondern auch die todten, alten, |
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Ausgestopften Dialecte. |
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Neuer Boden, neue Blumen! |
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Neue Blumen, neue Düfte! |
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Unerhörte, wilde Düfte, |
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Die mir in die Nase dringen, |
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Neckend, prickelnd, leidenschaftlich – |
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Und mein grübelnder Geruchsinn |
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Quält sich ab: Wo hab’ ich denn |
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Je dergleichen schon gerochen? |
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War’s vielleicht auf Regentstreet, |
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In den sonnig gelben Armen |
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Jener schlanken Javanesin, |
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Die beständig Blumen kaute? |
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Oder war’s zu Rotterdam, |
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Neben des Erasmi Bildsäul’, |
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In der weißen Waffelbude |
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Mit geheimnißvollem Vorhang? |
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Während ich die neue Welt |
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Solcher Art verdutzt betrachte, |
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Schein’ ich selbst ihr einzuflößen |
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Noch viel größre Scheu – Ein Affe, |
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Der erschreckt in’s Buschwerk forthuscht, |
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Schlägt ein Kreuz bei meinem Anblick, |
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Angstvoll rufend: „Ein Gespenst! |
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Ein Gespenst der alten Welt!“ |
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Affe! fürcht’ dich nicht, ich bin |
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Kein Gespenst, ich bin kein Spuk; |
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Leben kocht in meinen Adern, |
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Bin des Lebens treuster Sohn. |
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Doch durch jahrelangen Umgang |
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Mit den Todten, nahm ich an |
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Der Verstorbenen Manieren |
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Und geheime Seltsamkeiten. |
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Meine schönsten Lebensjahre, |
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Die verbracht’ ich im Kiffhäuser, |
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Auch im Venusberg und andern |
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Katakomben der Romantik. |
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Fürcht’ dich nicht vor mir, mein Affe! |
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Bin dir hold, denn auf dem haarlos |
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Ledern abgeschabten Hintern |
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Trägst du Farben, die ich liebe. |
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Theure Farben! Schwarz-roth-goldgelb! |
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Diese Affensteißcouleuren, |
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Sie erinnern mich mit Wehmuth |
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An das Banner Barbarossa’s. |
Details zum Gedicht „Präludium“
Heinrich Heine
20
80
357
1851
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht ist ein Werk des deutschen Schriftstellers Heinrich Heine, der von 1797 bis 1856 lebte. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Lyriker der Romantik, auch wenn sich seine Werke teilweise stark kritisch mit dieser Epoche auseinandersetzen. So gehört auch das vorliegende Gedicht „Präludium“ in diese Kategorie.
Auf den ersten Blick scheint das Gedicht von den Eindrücken und Erlebnissen zu erzählen, die Heine während einer Reise durch Amerika machte. Der lyrische Sprecher teilt seine Faszination für die fremde, neue und vor Leben sprühende Welt Amerikas mit. Es entsteht das Bild des Kontinents, wie es zu seinen Entdeckerzeiten wohl gewesen sein mag - unbekannt, naturreich, exotisch und voll prächtiger Farben.
Der Sprecher stellt diese Welt in Kontrast zu dem alten, angestaubten und toten Europa und kritisiert damit indirekt die Gesellschaft und Kultur Europas, insbesondere die Romantik und ihre fixierten Symbole und Traditionen.
Auf formaler Ebene besteht das Gedicht aus 20 Strophen, jede mit vier Versen. Die Sprache ist bildhaft und konkret, aber auch mit einem gewissen Witz und Ironie durchsetzt. So beschreibt Heine zum Beispiel, wie ihn die exotischen Düfte an Erfahrungen in weit entfernten Orten wie der Regent Street in London und einer Waffelbude in Rotterdam erinnern. Dies verleiht dem Gedicht eine gewisse Leichtigkeit und unterscheidet es von den typisch schwermütigen und nach Innen gewandten Werken der Romantik.
Eine tiefere Interpretation könnte hier die Bedeutung von Heines persönlichem Hintergrund nahelegen. Als Jude und späterer Emigrant wurde er in seiner Heimat Deutschland oft ausgegrenzt und gehörte zur Minderheit. In diesem Kontext könnte man das Gedicht als Metapher für Heines Sehnsucht nach einer Welt sehen, in der alle Menschen willkommen sind und in der Vielfalt und Unterschiedlichkeit nicht als Bedrohungen, sondern als Bereicherungen gesehen werden.
Das Gedicht „Präludium“ von Heinrich Heine ist also nicht nur eine lebendige Beschreibung seiner Reiseerfahrungen in Amerika, sondern auch eine scharfe Kritik an der Enge und Starrheit der europäischen Gesellschaft und Kultur seiner Zeit. Seine Wortwahl, sein Humor und seine gewagten Vergleiche machen es zu einem einzigartigen Beispiel seiner Dichtkunst und Weltanschauung.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Präludium“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Heinrich Heine. Geboren wurde Heine im Jahr 1797 in Düsseldorf. Im Jahr 1851 ist das Gedicht entstanden. In Hamburg ist der Text erschienen. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Bei Heine handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 80 Versen mit insgesamt 20 Strophen und umfasst dabei 357 Worte. Die Gedichte „Ach, ich sehne mich nach Thränen“, „Ach, wenn ich nur der Schemel wär’“ und „Ahnung“ sind weitere Werke des Autors Heinrich Heine. Zum Autor des Gedichtes „Präludium“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 535 Gedichte vor.
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