Prolog zu dem Schauspiele: Alte Zeit und neue Zeit von Johann Wolfgang von Goethe
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So hätt’ ich mich denn wieder angezogen, |
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Mich abermals verkleidet, und nun soll, |
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Im vielgeliebten Weimar wieder |
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Zum erstenmal ein neues Stück gegeben werden, |
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Das Alt und neue Zeit zum Titel hat. |
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Ja! alt und neue Zeit! das sind fürwahr |
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Besondre Worte. – Seh ich mich im Spiegel |
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Als Knabe wieder angezogen, auf dem Zettel |
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Als Jakob angekündigt; wird mirs wunderlich |
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Zu Muthe – Jakob soll ich heißen? |
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Ein Knabe seyn? das glaubt kein Mensch. |
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Wie viele werden nicht mich sehn und kennen, |
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Besonders die, die mich als kleine Christel |
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Mit ihrer Freundschaft, ihrer Gunst beglückt. |
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Was soll das nun? Man zieht sich aus und an, |
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Der Vorhang hebt sich, da ist alles Licht |
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Und Lust, und wenn er endlich wieder fällt, |
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Da gehn die Lampen aus und riechen übel – |
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Erst ist man klein, wird größer, man gefällt, |
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Man liebt – und endlich ist die Frau, |
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Die Mutter da, die selbst nicht weiß, |
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Was sie zu ihren Kindern sagen soll – |
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Und wenns nichts weiter wäre, möchte man |
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So wenig hier agiren, als da draußen leben. |
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(Sie blättert in den Büchern, schlägt sie |
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endlich zu und legt sie hin.) |
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Jakob – was fällt dir ein? |
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Man sieht doch recht, daß du ein Schüler bist. |
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Ein guter zwar, doch der zuviel allein |
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In seinen Büchern steckt – Hinweg die Grillen, |
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Hervor mit dir – Begrüße diese Stadt, |
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Die alles Gute pflegt, die alles nützt; |
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Wo sicher und vergnügt sich das Gewerbe |
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An Wissenschaft und Künste schließt, wo längst |
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Die stumpfe Dummheit der Geschmack vertrieb, |
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Wo alles Gute wirkt, wo das Theater |
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In diesen Kreis des Guten mitgehört. |
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Ja gönnt uns diesen Trost, daß wir nicht ganz umsonst |
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Hier oben uns bemühn. Wenn Herz und Geist |
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Sich euch erweitern, wenn ihr zu Geschäften |
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Euch wieder munter fühlt, |
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Wenn der Geschmack sich allgemeiner zeigt, |
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Wenn euer Unheil immer sichrer wird, |
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So denkt: Auch jener kleine Jakob hat |
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Dazu was beigetragen, und seyd ihm, |
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Seyd allen, die hier oben mit ihm wirken, |
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Zur neuen Zeit, so wie zur alten günstig. |
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GÖTHE. |
Details zum Gedicht „Prolog zu dem Schauspiele: Alte Zeit und neue Zeit“
8
48
330
1796
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das Gedicht ist der Prolog zu dem Schauspiel „Alte Zeit und neue Zeit“ von Johann Wolfgang von Goethe, einer der bekanntesten Stückeschreiber und Dichter Deutschlands. Goethe lebte von 1749 bis 1832, was seine Werke in die Epoche der Weimarer Klassik einordnet.
Das Gedicht, welches scheinbar in der Sicht eines Schauspielers verfasst wird, spricht Empfindungen des Wandels, der Unsicherheit und der Zerrissenheit zwischen Vergangenheit und Zukunft an. Dabei ist es in acht Strophen unterteilt und es variiert in der Anzahl der Verse pro Strophe.
Ein erster Eindruck des Gedichts vermittelt eine Art innere Zwiegespräch, welches das lyrische Ich mit sich selbst führt. Es redet von alten und neuen Zeiten, agiert in der Rolle des 'Jakob' und reflektiert über die Veränderungen, denen es sich stellen muss. Es wird der Eindruck eines Individuums vermittelt, das in alte Rollen schlüpft und dabei gleichzeitig mit der neu aufkommenden Zeit konfrontiert wird.
Die Beschreibung des Prozesses des Schauspiels, das An- und Ausziehen der Kostüme, das Auf- und Abgehen des Vorhangs, veranschaulicht zugleich Vergänglichkeit und Wandel. Es wird ein Gefühl von Zweifel und Unsicherheit vermittelt, das sowohl die Aufführung als auch die eigene Identität betrifft. Dies wird deutlich in Aussagen wie „Erst ist man klein, wird größer, man gefällt, Man liebt – und endlich ist die Frau, Die Mutter da, die selbst nicht weiß, Was sie zu ihren Kindern sagen soll“.
Goethe verwendet eine klare, verständliche und schlichte Sprache, doch seine Wortwahl trägt ein hohes Maß an Gefühlen, Reflexion und tiefer Bedeutung. Zum Beispiel impliziert „Man sieht doch recht, daß du ein Schüler bist. Ein guter zwar, doch der zuviel allein“ die innere Auseinandersetzung mit Selbstzweifeln und Unsicherheit.
Zum Ende hin, ruft das lyrische Ich zur Wertschätzung des Theaters und seiner Arbeit auf und bittet um Unterstützung und Anerkennung – sowohl in alten als auch in neuen Zeiten.
Insgesamt bietet Goethes Prolog einen tiefen Einblick in das Innenleben eines Schauspielers und stellt dabei die allgemeingültigen Themen Zeit, Veränderung und Identität in den Vordergrund. Die scheinbare Einfachheit der Sprache und Form lässt den Leser den Fokus auf den Inhalt und die darin verborgene Bedeutung legen.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Prolog zu dem Schauspiele: Alte Zeit und neue Zeit“ des Autors Johann Wolfgang von Goethe. Goethe wurde im Jahr 1749 in Frankfurt am Main geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1796 entstanden. Neustrelitz ist der Erscheinungsort des Textes. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Bei dem Schriftsteller Goethe handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Der Sturm und Drang reicht zeitlich etwa von 1765 bis 1790. Sie ist eine Strömung innerhalb der Aufklärung (1720–1790) und überschneidet sich teilweise mit der Epoche der Empfindsamkeit (1740–1790) und ihren Merkmalen. Häufig wird der Sturm und Drang auch als Geniezeit oder Genieperiode bezeichnet. Die Klassik knüpft an die Literaturepoche des Sturm und Drang an. Die wesentlichen Merkmale des Sturm und Drang lassen sich als ein Auflehnen oder Rebellieren gegen die Aufklärung zusammenfassen. Das philosophische und literarische Leben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Literatur sollten dadurch maßgeblich beeinflusst werden. Die Vertreter waren meistens junge Autoren, zumeist nicht älter als 30 Jahre. Um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Vorschein zu bringen, wurde besonders darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Dennoch wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Mit der Hinwendung Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.
Einer der wichtigsten Schriftsteller der deutschen Klassik ist Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar). Seine Italienreise im Jahr 1786 wird als Beginn der Weimarer Klassik angesehen. Johann Wolfgang von Goethe prägte die Klassik ganz wesentlich. Sein Todesjahr (1832) kennzeichnet gleichzeitig das Ende dieser Epoche. Sowohl Klassik als auch Weimarer Klassik sind oftmals verwendete Bezeichnungen für die Literaturepoche. Toleranz, Menschlichkeit und Übereinstimmung von Natur und Mensch, von Individuum und Gesellschaft sind die Ideale der Klassik. Im Zentrum des klassischen Kunstkonzepts steht das Streben nach harmonischem Ausgleich der Gegensätze. In der Gestaltung wurde das Gesetzmäßige, Wesentliche, Gültige sowie der Ausgleich und die Harmonie gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache häufig derb und roh ist, bleibt die Sprache in der Weimarer Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Goethe, Schiller, Herder und Wieland bildeten das „Viergestirn“ der Weimarer Klassik. Es gab natürlich auch noch weitere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.
Das 330 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 8 Strophen. Die Gedichte „An Annetten“, „An Belinden“ und „An Lida“ sind weitere Werke des Autors Johann Wolfgang von Goethe. Zum Autor des Gedichtes „Prolog zu dem Schauspiele: Alte Zeit und neue Zeit“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 1618 Gedichte vor.
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