Prolog zu Wallensteins Lager von Friedrich Schiller
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Der scherzenden, der ernsten Maske Spiel |
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Dem ihr so oft ein willig Ohr und Auge |
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Geliehn, die weiche Seele hingegeben, |
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Vereinigt uns aufs neu in diesem Saal – |
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Und sieh! er hat sich neu verjüngt, ihn hat |
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Die Kunst zum heitern Tempel ausgeschmückt |
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Und ein harmonisch hoher Geist spricht uns |
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Aus dieser edeln Säulenordnung an, |
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Und regt den Sinn zu festlichen Gefühlen. |
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Und doch ist dieß der alte Schauplatz noch, |
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Die Wiege mancher jugendlichen Kräfte, |
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Die Laufbahn manches wachsenden Talents. |
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Wir sind die Alten noch, die sich vor euch, |
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Mit warmem Trieb und Eifer ausgebildet. |
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Ein edler Meister stand auf diesem Platz, |
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Euch in die heitern Höhen seiner Kunst |
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Durch seinen Schöpfergenius entzückend. |
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O! möge dieses Raumes neue Würde |
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Die Würdigsten in unsre Mitte ziehn, |
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Und eine Hoffnung, die wir lang gehegt, |
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Sich uns in glänzender Erfüllung zeigen. |
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Ein großes Muster weckt Nacheiferung |
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Und giebt dem Urtheil höhere Gesetze. |
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So stehe dieser Kreis die neue Bühne |
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Als Zeugen des vollendeten Talents. |
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Wo möcht es auch die Kräfte lieber prüfen, |
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Den alten Ruhm erfrischen und verjüngen, |
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Als hier vor einem auserles’nen Kreis, |
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Der rührbar jedem Zauberschlag der Kunst |
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Mit leisbeweglichem Gefühl den Geist |
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In seiner flüchtigsten Erscheinung hascht? |
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Denn schnell und spurlos geht des Mimen Kunst |
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Die wunderbare, an dem Sinn vorüber, |
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Wenn das Gebild des Meisels, der Gesang |
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Des Dichters nach Jahrtausenden noch leben, |
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Hier stirbt der Zauber mit dem Künstler ab, |
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Und wie der Klang verhallet in dem Ohr, |
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Verrauscht des Augenblicks geschwinde Schöpfung, |
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Und ihren Ruhm bewahrt kein daurend Werk. |
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Schwer ist die Kunst, vergänglich ist ihr Preiß, |
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Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze, |
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Drum muß er geitzen mit der Gegenwart, |
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Den Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen, |
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Muß seiner Mitwelt mächtig sich versichern, |
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Und im Gefühl der würdigsten und besten |
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Ein lebend Denkmal sich erbaun – So nimmt er |
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Sich seines Nahmens Ewigkeit voraus, |
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Denn wer den Besten seiner Zeit genug |
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Gethan, der hat gelebt für alle Zeiten. |
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Die neue Aera, die der Kunst Thaliens |
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Auf dieser Bühne heut beginnt, macht auch |
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Den Dichter kühn, die alte Bahn verlassend, |
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Euch aus des Bürgerlebens engem Kreis, |
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Auf einen höhern Schauplatz zu versetzen, |
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Nicht unwerth des erhabenen Moments |
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Der Zeit, in dem wir strebend uns bewegen. |
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Denn nur der große Gegenstand vermag |
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Den tiefen Grund der Menschheit aufzuregen, |
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Im engen Kreis verengert sich der Sinn, |
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Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken. |
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Und jetzt an des Jahrhunderts ernstem Ende |
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Wo selbst die Wirklichkeit zur Dichtung wird, |
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Wo wir den Kampf gewaltiger Naturen |
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Und ein bedeutend Ziel vor Augen sehn, |
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Und um der Menschheit große Gegenstände |
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Um Herrschaft und um Freiheit wird gerungen, |
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Jetzt darf die Kunst auf ihrer Schattenbühne |
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Auch höhern Flug versuchen, ja sie muß, |
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Soll nicht des Lebens Bühne sie beschämen. |
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Zerfallen sehen wir in diesen Tagen |
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Die alte feste Form, die einst vor hundert |
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Und funfzig Jahren ein willkommner Friede |
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Europens Reichen gab, die theure Frucht |
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Von dreißig jammervollen Kriegesjahren. |
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Noch einmal laßt des Dichters Phantasie |
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Die düstre Zeit an euch vorüberführen, |
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Und blicket froher in die Gegenwart |
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Und in der Zukunft hoffnungsreiche Ferne. |
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In jenes Krieges Mitte stellt euch jetzt |
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Der Dichter. Sechzehn Jahre der Verwüstung, |
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Des Raubs, des Elends sind dahingeflohn, |
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In trüben Massen gähret noch die Welt, |
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Und keine Friedenshofnung strahlt von fern. |
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Ein Tummelplatz von Waffen ist das Reich, |
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Verödet sind die Städte, Magdeburg |
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Ist Schutt, Gewerb und Kunstfleiß liegen nieder, |
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Der Bürger gilt nichts mehr, der Krieger alles, |
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Straflose Frechheit spricht den Sitten Hohn, |
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Und rohe Horden lagern sich, verwildert |
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Im langen Krieg, auf dem verheerten Boden. |
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Auf diesem finstern Zeitgrund mahlet sich |
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Ein Unternehmen kühnen Uebermuths |
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Und ein verwegener Charakter ab. |
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Ihr kennet ihn – den Schöpfer kühner Heere, |
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Des Lagers Abgott, und der Länder Geissel, |
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Die Stütze und den Schrecken seines Kaisers, |
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Des Glückes abentheuerlichen Sohn, |
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Der von der Zeiten Gunst emporgetragen, |
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Da Ehre höchste Staffeln rasch erstieg, |
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Und ungesättigt immer weiter strebend, |
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Der unbezähmten Ehrsucht Opfer fiel. |
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Von der Partheyen Gunst und Haß verwirrt |
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Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte, |
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Doch euren Augen soll ihn jetzt die Kunst, |
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Auch eurem Herzen, menschlich näher bringen. |
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Denn jedes Aeußerste führt sie, die alles |
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Begrenzt und bindet, zur Natur zurück, |
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Sie sieht den Menschen in des Lebens Drang |
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Und wälzt die größre Hälfte seiner Schuld |
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Den unglückseligen Gestirnen zu. |
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Nicht Er ists, der auf dieser Bühne heut |
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Erscheinen wird. Doch in den kühnen Schaaren, |
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Die sein Befehl gewaltig lenkt, sein Geist |
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Beseelt, wird euch sein Schattenbild begegnen, |
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Bis ihn die scheue Muse selbst vor euch |
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Zu stellen wagt in lebender Gestalt, |
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Denn seine Macht ist’s, die sein Herz verführt, |
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Sein Lager nur erkläret sein Verbrechen. |
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Darum verzeiht dem Dichter, wenn er euch |
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Nicht raschen Schritts mit Einem mal ans Ziel |
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Der Handlung reißt, den großen Gegenstand |
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In einer Reihe von Gemählden nur |
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Vor euren Augen abzurollen wagt. |
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Das heutge Spiel gewinne euer Ohr |
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Und euer Herz den ungewohnten Tönen, |
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In jenen Zeitraum führ es euch zurück, |
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Auf jene fremde kriegerische Bühne, |
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Die unser Held mit seinen Thaten bald |
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Erfüllen wird. |
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Und wenn die Muse heut, |
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Des Tanzes freie Göttinn und Gesangs |
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Ihr altes deutsches Recht, des Reimes Spiel, |
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Bescheiden wieder fodert – tadelts nicht! |
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Ja danket ihr’s, daß sie das düstre Bild |
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Der Wahrheit in das heitre Reich der Kunst |
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Hinüberspielt, die Täuschung, die sie schafft, |
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Aufrichtig selbst zerstört und ihren Schein |
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Der Wahrheit nicht betrüglich unterschiebt, |
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Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst. |
Details zum Gedicht „Prolog zu Wallensteins Lager“
Friedrich Schiller
11
139
895
1798
Sturm & Drang,
Klassik
Gedicht-Analyse
Das vorgestellte Gedicht ist „Prolog zu Wallensteins Lager“ von Friedrich Schiller, einem deutschen Dichter der Weimarer Klassik, der von 1759 bis 1805 lebte.
Auf den ersten Eindruck strahlt das Gedicht eine tiefe Untersuchung und Reflexion über die Interaktion von Kunst und Realität aus und nutzt das individuelle Erleben des lyrischen Ichs, um komplexe Gedanken und Beobachtungen zu vermitteln.
Inhaltlich spricht das lyrische Ich von einer Versammlung in einem Saal, die einem künstlerischen oder theatralischen Ereignis beiwohnt. Es praktiziert sowohl eine Art eigene Reflexion als auch eine Aufforderung an die Anwesenden, die Kunst und die Präsentation des Künstlers anzuerkennen und zu schätzen. In Bezug auf die Kunst und das Theater verwendet das lyrische Ich Metaphern und Beschreibungen, um die Vergänglichkeit, Veränderung und zugleich die immaterielle Ewigkeit der Kunst darzustellen. Es stellt auch Betrachtungen über die Rolle des Künstlers und der Kunst in der Gesellschaft an und fordert das Publikum auf, die Darstellung als einen Spiegel der gesellschaftlichen Realität zu sehen.
Die Form des Gedichts ist in freien Rhythmen organisiert, was eine flexible und fließende Präsentation der Gedanken des lyrischen Ichs ermöglicht. Dies weist auf die Spontanität und Authentizität der Reflexionen hin. Die Sprache des Gedichts ist reich und aussagekräftig, mit einer komplexen Verwendung von Metaphern und Bildern, um tiefe und oft abstrakte Konzepte zu vermitteln. Es wird reichlich Gebrauch von poetischen Mitteln gemacht, darunter Assonanz, Alliteration, Metaphern, Allegorien und Symbolik. Dies trägt zur Schaffung einer reichen textuellen Tiefe und Komplexität bei, die die Reflexion des lyrischen Ichs und die Interaktion mit dem Publikum unterstützt.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Prolog zu Wallensteins Lager“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Friedrich Schiller. Geboren wurde Schiller im Jahr 1759 in Marbach am Neckar, Württemberg. 1798 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Tübingen. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Bei dem Schriftsteller Schiller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Die Epoche des Sturm und Drang reicht zeitlich etwa von 1765 bis 1790. Sie ist eine Strömung innerhalb der Aufklärung (1720–1790) und überschneidet sich teilweise mit der Epoche der Empfindsamkeit (1740–1790) und ihren Merkmalen. Häufig wird der Sturm und Drang auch als Genieperiode oder Geniezeit bezeichnet. Die Klassik knüpft an die Literaturepoche des Sturm und Drang an. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte der Geist der Aufklärung das literarische und philosophische Denken im deutschen Sprachraum. Der Sturm und Drang „stürmte“ und „drängte“ als Jugend- und Protestbewegung gegen die aufklärerischen Ideale. Ein wesentliches Merkmal des Sturm und Drang ist somit ein Auflehnen gegen die Epoche der Aufklärung. Die Vertreter des Sturm und Drang waren häufig junge Schriftsteller im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren, die sich gegen die vorherrschende Strömung der Aufklärung wandten. Die Schriftsteller versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die persönlichen Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Es wurde eine eigene Jugendsprache und Jugendkultur mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Halbsätzen und Wiederholungen geschaffen. Die alten Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Mit dem Hinwenden Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.
Richtungsweisend für die Literatur der Weimarer Klassik war die Französische Revolution. Menschen setzten sich dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Der Beginn der Weimarer Klassik ist im Jahr 1786 auszumachen. Die Epoche der Klassik endete im Jahr 1832 mit dem Tod Johann Wolfgang von Goethes. Sowohl Klassik als auch Weimarer Klassik sind häufig verwendete Bezeichnungen für die Literaturepoche. Prägend für die Zeit der Klassik ist der Begriff Humanität. Toleranz, Menschlichkeit, Schönheit, Selbstbestimmung und Harmonie sind wichtige inhaltliche Merkmale der Klassik. Die Klassik orientierte sich an klassischen Vorbildern aus der Antike. Kennzeichnend ist ein hohes Sprachniveau und eine reglementierte Sprache. Diese reglementierte Sprache verdeutlicht im Vergleich zum natürlichen Sprachideal des Sturm und Drang mit all seinen Derbheiten den Ausgleich zwischen Vernunft und Gefühl. Die Vertreter der Epoche haben in der Weimarer Klassik auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. Die Hauptvertreter der Weimarer Klassik sind Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Einen künstlerischen Austausch im Sinne einer gemeinsamen Arbeit gab es jedoch nur zwischen Goethe und Schiller.
Das Gedicht besteht aus 139 Versen mit insgesamt 11 Strophen und umfasst dabei 895 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Friedrich Schiller sind „An die Parzen“, „An die Sonne“ und „An einen Moralisten“. Zum Autor des Gedichtes „Prolog zu Wallensteins Lager“ haben wir auf abi-pur.de weitere 220 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Friedrich Schiller sind auf abi-pur.de 220 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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