Prolog von Heinrich Heine

Es war mal ein Ritter, trübselig und stumm,
Mit hohlen, schneeweißen Wangen;
Er schwankte und schlenderte schlotternd herum,
In dumpfen Träumen befangen.
Er war so hölzern, so täppisch, so links,
Die Blümlein und Mägdlein, die kicherten rings,
Wenn er stolpernd vorbeigegangen.
 
Oft saß er im finstersten Winkel zu Haus;
Er hatt’ sich vor Menschen verkrochen.
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Da streckte er sehnend die Arme aus,
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Doch hat er kein Wörtlein gesprochen.
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Kam aber die Mitternachtstunde heran,
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Ein seltsames Singen und Klingen begann.
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An die Thüre da hört er es pochen.
 
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Da kommt seine Liebste geschlichen herein,
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Im rauschenden Wellenschaumkleide.
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Sie blüht und glüht, wie ein Röselein,
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Ihr Schleier ist eitel Geschmeide.
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Goldlocken umspielen die schlanke Gestalt,
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Die Aeugelein grüßen mit süßer Gewalt –
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In die Arme sinken sich beide.
 
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Der Ritter umschlingt sie mit Liebesmacht,
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Der Hölzerne steht jetzt in Feuer,
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Der Blasse erröthet, der Träumer erwacht,
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Der Blöde wird freier und freier.
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Sie aber, sie hat ihn gar schalkhaft geneckt,
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Sie hat ihm ganz leise den Kopf bedeckt
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Mit dem weißen, demantenen Schleier.
 
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In einen kristallenen Wasserpalast
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Ist plötzlich gezaubert der Ritter.
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Er staunt, und die Augen erblinden ihm fast,
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Vor alle dem Glanz und Geflitter.
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Doch hält ihn die Nixe umarmet gar traut,
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Der Ritter ist Bräut’gam, die Nixe ist Braut,
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Ihre Jungfraun spielen die Zither.
 
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Sie spielen und singen; es tanzen herein
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Viel winzige Mädchen und Bübchen.
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Der Ritter, der will sich zu Tode freu’n,
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Und fester umschlingt er sein Liebchen –
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Da löschen auf einmal die Lichter aus,
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Der Ritter sitzt wieder ganz einsam zu Haus,
42 
In dem dustern Poetenstübchen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Prolog“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
42
Anzahl Wörter
261
Entstehungsjahr
1822–1823
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Prolog“ wurde von Heinrich Heine verfasst, ein wichtiger deutscher Dichter und Schriftsteller der Romantik und des Vormärz, der von 1797 bis 1856 lebte.

Zunächst scheint Heines Gedicht die Geschichte eines unbeholfenen, einsamen Ritters zu erzählen, der von den Menschen ausgelacht wird und plötzlich eine Art von Erlösung oder Verwandlung durch die Liebe zu einer mysteriösen, möglicherweise übernatürlichen Frau erlebt. Diese Verwandlung scheint in einer traumähnlichen, fantastischen Unterwasserwelt stattzufinden.

Das lyrische Ich des Gedichts könnte der Ritter selbst sein, der seine eigene Geschichte erzählt. Es könnte aber auch eine Art Erzähler sein, der die Geschichte des Ritters aus einer distanzierten Perspektive darstellt. Der Ritter scheint eine Metapher für das Leben und Schaffen des Poeten zu sein – ein Außenseiter, der vom Alltag entrückt ist und in seiner eigenen Träumerei aufgeht.

Die Sprache und der Stil des Gedichts sind typisch für Heines Zeit: der Vers ist klar und melodisch, mit gereimten, siebenzeiligen Strophen. Es gibt eine deutliche Struktur und ein rhythmisches Muster in jedem Vers, was zu einem musikalischen Fluss der Worte und Ideen beiträgt.

Inhaltlich verbindet das Gedicht Elemente der Romantik (wie die Vorstellung von einsamen, schwermütigen Helden und übersinnlichen Liebeserfahrungen) mit Elementen des Realismus (wie die Darstellung des Poeten als Außenseiter und der Alltag als etwas Erdrückendes, das die künstlerische Kreativität behindert). In diesem Sinne spiegelt das Gedicht die Dilemmata und Spannungen wider, die das Leben und Schaffen vieler Künstler und Schriftsteller in Heines Zeit prägten – zwischen der Sehnsucht nach romantischer Idealität und der Anerkennung der harten Realitäten des Lebens, zwischen dem Streben nach individueller Freiheit und der Anerkennung gesellschaftlicher Beschränkungen.

Im Falle von Heine könnte dieses Gedicht auch als eine Art Selbstporträt oder Selbstreflexion gesehen werden – als eine poetische Darstellung seiner eigenen künstlerischen Existenz und seiner Rolle als Dichter in einer oft unverständlichen und feindseligen Welt.

Weitere Informationen

Heinrich Heine ist der Autor des Gedichtes „Prolog“. Der Autor Heinrich Heine wurde 1797 in Düsseldorf geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1823. Der Erscheinungsort ist Hamburg. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Bei Heine handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 261 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 42 Versen. Heinrich Heine ist auch der Autor für Gedichte wie „Ahnung“, „Allnächtlich im Traume seh’ ich dich“ und „Almansor“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Prolog“ weitere 535 Gedichte vor.

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