Prolog von Marie Eugenie Delle Grazie

Du steinern Buch, darin in mächt’gen Zügen
Das hohe Lied der Weltgeschichte steht,
Mit ihren Kämpfen, ihren schönsten Lügen
Und ihrer Wahrheit herber Majestät;
Du Marmorchronik, die noch im Zerfallen
Der Macht und Schönheit stolze Sprache führt,
Du herrlichste Ruine unter allen,
Die je des Todes Flügelschlag berührt –
O Roma, Ew’ge du, so lange leben,
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Erscheinen, Ringen und Versinken heißt –
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Wirst du dem kecken Sängermuth vergeben,
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Wenn er am Flore deiner Trauer reißt?
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Und dennoch! Wehen nicht die grünsten Ranken
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Gerad von deinen Mauern ernste Stadt?
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Die Schwermuth deiner traurigsten Gedanken,
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Umschmeicheln sie nicht prangend Blüth’ und Blatt?
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Clematis wallt in Prachtguirlanden nieder,
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Wo goldig einst des Cäsars Thron erglänzt,
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Um öde Tempel duftet süß der Flieder
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Und selbst das Colosseum ward bekränzt –
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O Rom, du steinern Buch voll Weltgedanken
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Und Weltleid – stolze Marmorchronik du –
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Vignetten gleich nur soll mein Lied umranken
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Die Schicksalshieroglyphen deiner Ruh’!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.8 KB)

Details zum Gedicht „Prolog“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
148
Entstehungsjahr
1892
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Prolog“ ist verfasst von Marie Eugenie Delle Grazie, einer österreichisch-ungarischen Dichterin, die in der späten Phase des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebte und wirkte.

Auf den ersten Blick fällt die feierliche und würdevolle Stimmung des Gedichts ins Auge, die durch die Referenzen auf die Geschichte, Monumentalität und den scheinbaren Verfall Roms verstärkt wird.

In einfachen Worten geht es in dem Gedicht um Stadt Rom: Ihre prächtige Geschichte, ihre Monumente und ihre spürbare Vergangenheit. Verglichen wird die Stadt mit einem „steinernen Buch“, in dem die Geschichte der Welt in mächtigen Zügen (Vers 1) aufgezeichnet ist, und mit einer Marmorchronik, die selbst im Verfall noch die Macht und Schönheit bezeugt (Vers 5). Die lyrische Stimme preist Rom als die „Ew'ge“ (Vers 9), und äußert die Hoffnung, dass die Stadt der mutigen Interpretation seiner Geschichte durch den Dichter vergeben wird (Vers 12). Das Gedicht erwähnt dann die Schönheit der Natur, die mit ihrer Pracht aus den Ruinen Roms wächst, als ob um die traurigen Überreste einer großartigen Vergangenheit zu trösten. Das Gedicht endet mit der Aussage, dass die lyrische Stimme dem Gedicht lediglich Vignetten hinzufügen möchte, um die „Schicksalshieroglyphen“ (Vers 24) von Roms Ruhe und Grandeur zu umrahmen.

Formal gesehen besteht das Gedicht aus einer einzigen Strophe mit 24 Versen. Es verwendet eine feierliche und bildhafte Sprache, mit vielen Anspielungen auf Geschichte, Macht, Herrlichkeit und Verfall. Es ist auffällig, dass die lyrische Stimme die Stadt Rom personifiziert, als ob sie ein lebendiges Wesen wäre, mit dem man direkt kommunizieren kann.

Die Verwendung des steinernen Buchs und der Marmorchronik als Metaphern für Rom zeigt, wie die Stadt als ein Symbol für Geschichte, Macht und Kultur angesehen wird. Die Traurigkeit und Schönheit, die durch die Beschreibung der Natur und ihrer Blüten auf den Ruinen von Rom hervorgerufen wird, kann als eine Darstellung der dualen Natur der Vergänglichkeit - Verfall und Erneuerung - interpretiert werden.

Insgesamt ist das Gedicht „Prolog“ von Marie Eugenie Delle Grazie eine ehrfürchtige Hommage an die Stadt Rom und ihre vielfältige, mächtige und tragische Geschichte. Es ist ein Zeugnis der tiefen Bewunderung und des Respekts der Dichterin für diese Stadt und ihre unbezwingbare spirituelle und kulturelle Stärke.

Weitere Informationen

Die Autorin des Gedichtes „Prolog“ ist Marie Eugenie Delle Grazie. Delle Grazie wurde im Jahr 1864 in Weißkirchen (Bela Crkva) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1892 zurück. Erschienen ist der Text in Leipzig. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Bei der Schriftstellerin Delle Grazie handelt es sich um eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 24 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 148 Worte. Weitere Werke der Dichterin Marie Eugenie Delle Grazie sind „Apoll vom Belvedere“, „Arco naturale“ und „Atlantis“. Zur Autorin des Gedichtes „Prolog“ haben wir auf abi-pur.de weitere 71 Gedichte veröffentlicht.

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