Professoren von Kurt Tucholsky

Er ging durch alte Winkelgäßchen,
im schlappen Hut, in faltigem Rock.
Ein kleines Bäuchlein wie ein Fäßchen
… nicht jung mehr … graues Stirngelock …
Vergaß er auch sein Regendach,
man raunte: „Der versteht sein Fach!“
Ein stilles, manchmal tiefes Gewässer:
der alte Professor.
 
Und heut? Im lauten Weltgebrause
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bewegt sich der Privatdozent.
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Er redet in und außerm Hause
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von Politik mit viel Talent.
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Beziehungen zur Industrie
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sind sehr beliebt, drum hat man sie.
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Wild fuchtelnd fordert den Krieg bis aufs Messer
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der neue Professor.
 
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Man sagt, weltfremd sei er gewesen.
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Wie sind sie heute so gewandt!
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Man sagt: er konnte nichts als lesen.
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Wie wäscht sich heute Hand und Hand!
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Der lehrt nicht mehr. Der propagiert.
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Und wer erzieht den, der studiert?
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Ich kann mir nicht helfen, er war doch viel besser:
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der alte, deutsche, zerstreute Professor.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.7 KB)

Details zum Gedicht „Professoren“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
135
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Professoren“ wurde von Kurt Tucholsky verfasst, einem deutschen Journalisten und Schriftsteller, der von 1890 bis 1935 lebte. Tucholsky war bekannt für seine kritische und satirische Haltung gegenüber politischen und sozialen Missständen, was auch in diesem Gedicht zum Ausdruck kommt. Es wurde wahrscheinlich in den 1920er oder frühen 1930er Jahren geschrieben, als der gesellschaftliche Wandel und die Modernisierung in Deutschland rasant voranschritten.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht nostalgisch und kritisch. Tucholsky trifft hier einen Vergleich zwischen dem traditionellen, in sich gekehrten Professor, der sich hauptsächlich auf sein Fach konzentriert, und dem modernen, weltoffenen Professor, der mehr auf politische und industrielle Beziehungen ausgerichtet ist.

In der ersten Strophe wird das Bild des alten Professors gezeichnet: ein alter Mann mit grauen Haaren und leichtem Übergewicht, der in alten Gassen unterwegs ist und sein Regenschirm vergisst. Sein Wissen und seine Kompetenz im eigenen Fach werden anerkannt. Trotz seines Alters und vergesslichen Wesens wird er als ruhiger und tiefer Gelehrter dargestellt.

Die folgenden zwei Strophen widmen sich dem modernen Professor. Dieser ist politisch aktiv und pflegt Beziehungen zur Industrie. Im Gegensatz zum alten Professor, der sich auf sein spezielles Fachgebiet konzentriert, scheint der neue Professor politische und wirtschaftliche Interessen zu verfolgen und eher ein Propagandist als ein Lehrer zu sein. Tucholsky kritisiert diesen Wandel und deutet an, dass die akademische Integrität und Bildung darunter leiden könnten.

In Bezug auf Form und Sprache handelt es sich um ein lyrisches Gedicht mit drei Strophen zu jeweils acht Versen. Tucholsky verwendet eine verständliche und bildhafte Sprache, um seine Botschaft zu vermitteln. Er nutzt Metaphern wie das „Weltgebrause“ oder das „stille Gewässer“, um den Unterschied zwischen den beiden Professortypen zu verdeutlichen.

Zusammenfassend zeigt Tucholsky in seinem Gedicht „Professoren“ seine Besorgnis über den Wandel des wissenschaftlichen Berufsstandes. Er idealisiert den alten, in sich gekehrten Professor und kritisiert den modernen Professor für seine politischen und wirtschaftlichen Neigungen. Seine Haltung spiegelt dabei eine typische kritische Sicht auf Modernisierung und gesellschaftlichen Wandel wider.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Professoren“ ist Kurt Tucholsky. Im Jahr 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1919 entstanden. Charlottenburg ist der Erscheinungsort des Textes. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Bei Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Inhaltlich wurden in der Literatur der Weimarer Republik häufig die Ereignisse des Ersten Weltkriegs verarbeitet. Die geschichtlichen Einflüsse des Ersten Weltkrieges und der späteren Weimarer Republik sind die prägenden Faktoren dieser Epoche. Neue Sachlichkeit ist eine Richtung der Literatur der Weimarer Republik. In den ihr zugerechneten Werken ist die zwischen den Weltkriegen hervortretende Tendenz zu illusionslos-nüchterner Darstellung von Gesellschaft, Erotik, Technik und Weltwirtschaftskrise deutlich erkennbar. Dies kann man als Reaktion auf den literarischen Expressionismus werten. Die Dichter orientierten sich an der Realität. Die Handlung wurde meist nur kühl und distanziert beobachtet. Man schrieb ein Minimum an Sprache, dafür hatte diese ein Maximum an Bedeutung. Es sollten so viele Menschen wie möglich mit den Texten erreicht werden, deshalb wurde eine einfache sowie nüchterne Alltagssprache verwendet. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung von Walter Rathenau das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die zum Beispiel in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz setze den Schriftstellern dieser Zeit noch mal verstärkt Grenzen. 1931 trat die Pressenotverordnung in Kraft, dadurch waren die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate hinweg möglich geworden.

Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Autoren, die ins Exil fliehen, also ihre Heimat verlassen mussten. Dies geschah insbesondere zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die Exilliteratur geht aus diesem Umstand hervor. Der Ausgangspunkt der Exilbewegung Deutschlands war der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Exilliteratur lässt sich insbesondere an den thematischen Schwerpunkten wie Sehnsucht nach der Heimat, Widerstand gegen Nazi-Deutschland oder Aufklärung über den Nationalsozialismus ausmachen. Bestimmte formale Merkmale lassen sich jedoch nicht finden. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Realismus und Expressionismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte Gesellschaftsentwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das 135 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 3 Strophen. Der Dichter Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „’s ist Krieg!“, „Abschied von der Junggesellenzeit“ und „Achtundvierzig“. Zum Autor des Gedichtes „Professoren“ haben wir auf abi-pur.de weitere 136 Gedichte veröffentlicht.

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