Poesie des Lebens von Friedrich Schiller

An ***

„Wer möchte sich an Schattenbildern weiden,
Die mit erborgtem Schein das Wesen überkleiden,
Mit trügrischem Besitz die Hofnung hintergehn?
Entblößt muß ich die Wahrheit sehn.
Soll gleich mit meinem Wahn mein ganzer Himmel schwinden,
Soll gleich den freien Geist, den der erhabne Flug
Ins grenzenlose Reich der Möglichkeiten trug,
Die Gegenwart mit strengen Fesseln binden;
Er lernt sich selber überwinden,
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Ihn wird das heilige Gebot
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Der Pflicht, das furchtbare der Noth
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Nur desto unterwürfger finden,
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Wer schon der Wahrheit milde Herrschaft scheut,
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Wie trägt er die Nothwendigkeit?“
 
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So rufst du aus und blickst, mein strenger Freund,
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Aus der Erfahrung sicherm Porte
 
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Verwerfend hin auf alles, was nur scheint.
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Erschreckt von deinem ernsten Worte
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Entflieht der Liebesgötter Schaar,
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Der Musen Spiel verstummt, es ruhn der Horen Tänze,
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Still traurend nehmen ihre Kränze
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Die Schwester Göttinnen vom schön gelockten Haar,
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Apoll zerbricht die goldne Leyer,
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Und Hermes seinen Wunderstab,
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Des Traumes rosenfarbner Schleyer
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Fällt von des Lebens bleichem Antlitz ab.
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Die Welt scheint was sie ist, ein Grab.
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Von seinen Augen nimmt die zauberische Binde
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Cytherens Sohn, die Liebe sieht,
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Sie sieht in ihrem Götterkinde
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Den Sterblichen, erschrickt und flieht,
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Der Schönheit Jugendbild veraltet,
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Auf deinen Lippen selbst erkaltet
34 
Der Liebe Kuß und in der Freude Schwung
35 
Ergreift dich die Versteinerung.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.6 KB)

Details zum Gedicht „Poesie des Lebens“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
35
Anzahl Wörter
209
Entstehungsjahr
1798
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht stammt von Friedrich Schiller, einem der bedeutendsten Vertreter der Weimarer Klassik, der im 18. und 19. Jahrhundert lebte.

Auf den ersten Blick befasst sich das Gedicht mit einer Reflexion auf das Leben und die Wahrheit, mit einem besonderen Augenmerk auf Illusionen und deren Bruch. Es ist ein Gespräch zwischen dem lyrischen Ich und einer strengen, aber sicheren Figur, die als „mein strenger Freund“ bezeichnet wird.

Inhaltlich verhandelt das Gedicht die Konfrontation des lyrischen Ichs mit der Unterscheidung zwischen Illusion (dargestellt durch „Schattenbilder“ und „trügrischer Besitz“) und der ungeschminkten Wahrheit. Dabei scheint das lyrische Ich eine gewisse Sehnsucht nach den Illusionen zu verspüren, angesichts einer kargen Wirklichkeit, in der „die Welt was sie ist, ein Grab“ ist. Gleichzeitig zeigt das lyrische Ich Anerkennung für den „strenge[n] Freund“, der durch seine Erfahrung und sein Eintreten für die Wahrheit eine Art Vorbild darstellt.

Die Form des Gedichts ist freie Verse ohne ein strenges Reim- oder Metrumsschema, was den introspektiven und reflektierenden Charakter des Gedichtes unterstreicht. Schillers Sprache ist reich an Metaphern und klassischen Anspielungen, die den brisanten Konflikt zwischen Illusion und Wahrheit illustrieren. So werden Götter wie Apollo, Hermes und die Musen als Repräsentanten des Scheinbaren eingesetzt, die ihren Zauber verlieren, wenn ihnen die („goldne Leyer“, „Wunderstab“, „Kränze“) abgenommen wird.

Alles in allem betrachtet das Gedicht die existentielle Frage der Auseinandersetzung mit der Wahrheit und dem Schein des Lebens in poetischer Form. Durch die Verwendung von klassischen Symbolen und einer introspektiven Sprache, wird die tiefgreifende innere Unruhe und Reflexion des lyrischen Ichs hervorgerufen. Schiller verdeutlicht damit eindrucksvoll die Schwierigkeit, sich mit der nackten Wirklichkeit zu konfrontieren und gleichzeitig die Ambivalenz des „strenge[n] Freund[es]“, der einerseits Bewunderung, andererseits aber auch Abschreckung hervorruft.

Weitere Informationen

Friedrich Schiller ist der Autor des Gedichtes „Poesie des Lebens“. 1759 wurde Schiller in Marbach am Neckar, Württemberg geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1798 entstanden. Der Erscheinungsort ist Tübingen. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zu. Der Schriftsteller Schiller ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Zwischen den Epochen Empfindsamkeit und Klassik lässt sich in den Jahren zwischen 1765 und 1790 die Strömung Sturm und Drang einordnen. Geniezeit oder zeitgenössische Genieperiode sind häufige Bezeichnungen für diese Literaturepoche. Die wesentlichen Merkmale des Sturm und Drang lassen sich als ein Auflehnen oder Rebellieren gegen die Epoche der Aufklärung zusammenfassen. Das philosophische und literarische Leben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die Literatur sollten dadurch maßgeblich beeinflusst werden. Die Schriftsteller der Epoche des Sturm und Drangs waren häufig unter 30 Jahre alt. Um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Vorschein zu bringen, wurde im Besonderen darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Die traditionellen Werke vorheriger Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit seinen beiden bedeutenden Vertretern Schiller und Goethe entwickelte sich der Sturm und Drang weiter und ging in die Weimarer Klassik über.

Zeitlich lässt sich die Weimarer Klassik mit Goethes Italienreise 1786 und mit Goethes Tod im Jahr 1832 eingrenzen. Zwei gegensätzliche Anschauungen hatten das 18. Jahrhundert beeinflusst. Die Aufklärung und die gefühlsbetonte Strömung Sturm und Drang. Die Weimarer Klassik ist eine Synthese dieser beiden Elemente. Das Zentrum der Weimarer Klassik lag in Weimar. Oft wird die Epoche auch nur als Klassik bezeichnet. Die Klassik orientiert sich an traditionellen Vorbildern aus der Antike. Sie strebt nach Harmonie ganz im Gegensatz zur Epoche der Aufklärung und des Sturm und Drangs. In der Lyrik haben die Autoren auf Gestaltungs- und Stilmittel aus der Antike zurückgegriffen. Beispielsweise war so die streng an formale Kriterien gebundene Ode besonders geschätzt. Außerdem verwendeten die Autoren jener Zeit eine gehobene, pathetische Sprache. Die bekanntesten Schriftsteller der Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Andere bekannte Schriftsteller der Klassik sind Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Die beiden zuletzt genannten arbeiteten aber jeweils für sich. Einen produktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Schiller und Goethe.

Das 209 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 35 Versen mit insgesamt 3 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Friedrich Schiller sind „An Minna“, „An den Frühling“ und „An die Gesetzgeber“. Zum Autor des Gedichtes „Poesie des Lebens“ haben wir auf abi-pur.de weitere 220 Gedichte veröffentlicht.

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