Osterspaziergang von Johann Wolfgang von Goethe

Vom Eise befreyt sind Strom und Bäche,
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Thale grünet Hoffnungs-Glück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
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Ueberall regt sich Bildung und Streben,
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Alles will sie mit Farben beleben;
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Doch an Blumen fehlts im Revier,
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Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
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Kehre dich um, von diesen Höhen
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Nach der Stadt zurück zu sehen.
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Aus dem hohlen finstern Thor
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Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
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Jeder sonnt sich heute so gern.
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Sie feyern die Auferstehung des Herrn,
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Denn sie sind selber auferstanden,
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Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
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Aus Handwerks- und Gewerbes Banden,
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Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
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Aus der Straßen quetschender Enge,
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Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
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Sind sie alle ans Licht gebracht.
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Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge
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Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
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Wie der Fluß, in Breit’ und Länge,
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So manchen lustigen Nachen bewegt,
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Und, bis zum Sinken überladen
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Entfernt sich dieser letzte Kahn.
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Selbst von des Berges fernen Pfaden
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Blinken uns farbige Kleider an.
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Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
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Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
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Zufrieden jauchzet groß und klein:
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Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s seyn.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Osterspaziergang“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
38
Anzahl Wörter
219
Entstehungsjahr
1806
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Osterspaziergang“ stammt von Johann Wolfgang von Goethe, einem der bekanntesten Dichter der deutschen Literatur, der im Zeitraum von 1749 bis 1832 lebte. Dieses Werk ist Teil seines berühmten Dramas „Faust“, das im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert entstand.

Beim ersten Lesen strahlt das Gedicht eine Atmosphäre der Freude und Belebung aus. Es vermittelt den Eindruck einer natürlichen Erneuerung und einer daraus resultierenden menschlichen Freude und Wiedergeburt.

Das lyrische Ich beschreibt im Gedicht, wie die Natur sich von der Winterkälte erholt und regeneriert. Die Menschen, die sich von den Beschränkungen ihrer Häuser, ihrer Arbeit und der Kirche befreien, nutzen diesen Anlass, um die Auferstehung des Herrn zu feiern und ihre eigene spirituelle und physische Erneuerung zu erleben. Durch die Erfahrung der Natur und des Zusammenlebens mit den anderen können sie ihre wahre Menschlichkeit entdecken und ausleben.

Was die Form betrifft, so besteht das Gedicht aus insgesamt 38 Versen in einer einzigen, langen Strophe. Die Sprache ist stark bildlich und der Ausdruck ist reich und farbenfroh. Der Text verwendet viele natürliche Symbole wie Eis, Bäche, Sonne und Blumen, um die Transformation und Belebung der Welt zu beschreiben. Gleichzeitig bedient sich das Gedicht auch bildlichen Darstellungen menschlicher Aktivitäten und Bedingungen, etwa die farbigen Kleider, die dumpfen Räume und die Enge der Straßen, um die Transformation und Belebung der Menschheit zu illustrieren.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Goethes „Osterspaziergang“ eine eindringliche Schilderung der Freude und Belebung von Natur und Mensch im Frühling darstellt. Das lyrische Ich betont, dass das Erleben dieser Wiederbelebung uns die Möglichkeit gibt, unsere wahre Menschlichkeit und Individualität zu realisieren und zu feiern.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Osterspaziergang“ des Autors Johann Wolfgang von Goethe. Im Jahr 1749 wurde Goethe in Frankfurt am Main geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1806 entstanden. Der Erscheinungsort ist Tübingen. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Goethe handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Die Epoche des Sturm und Drang ist eine Strömung in der deutschen Literaturgeschichte, die häufig auch als Geniezeit oder Genieperiode bezeichnet wird. Die Epoche ordnet sich nach der Literaturepoche der Empfindsamkeit und vor der Klassik ein. Sie lässt sich auf die Zeit zwischen 1765 und 1790 eingrenzen. Der Literaturepoche des Sturm und Drang geht die Epoche der Aufklärung voran. Die Ideale und Ziele der Aufklärung wurden verworfen und es begann ein Auflehnen gegen die Prinzipien der Aufklärung und das gesellschaftliche System. Bei den Vertretern der Epoche des Sturm und Drang handelte es sich vorwiegend um Schriftsteller jüngeren Alters. Um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen, wurde insbesondere darauf geachtet eine geeignete Sprache zu finden und in den Gedichten einzusetzen. Die Werke vorheriger Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Aber dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Schiller, Goethe und die anderen Autoren jener Zeit suchten nach etwas Universalem, was in allen Belangen und für jede Zeit gut sei und entwickelten sich stetig weiter. So ging der Sturm und Drang über in die Weimarer Klassik.

Die Weimarer Klassik war beeinflusst worden durch die Französische Revolution mit ihren Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Der Kampf um eine Verfassung, die revolutionäre Diktatur unter Robespierre und der darauffolgende Bonapartismus führten zu den Grundstrukturen des 19. Jahrhundert (Nationalismus, Liberalismus und Imperialismus). Die Weimarer Klassik lässt sich zeitlich mit der Italienreise Goethes im Jahr 1786 und mit dem Tod Goethes 1832 eingrenzen. Das Zentrum der Weimarer Klassik lag in Weimar. Häufig wird die Epoche auch nur als Klassik bezeichnet. Menschlichkeit, Toleranz und Übereinstimmung von Natur und Mensch, von Gesellschaft und Individuum sind die Ideale der Klassik. Im Zentrum des klassischen Kunstkonzepts steht das Streben nach harmonischem Ausgleich der Gegensätze. In der Klassik wird eine einheitliche, geordnete Sprache verwendet. Allgemeingültige, kurze Aussagen sind oftmals in Werken der Klassik zu finden. Da man die Menschen früher mit der Kunst und somit auch mit der Literatur erziehen wollte, setzte man großen Wert auf Stabilität und formale Ordnung. Metrische Ausnahmen befinden sich oftmals an Stellen, die hervorgehoben werden sollen. Schiller, Goethe, Herder und Wieland bildeten das „Viergestirn“ der Klassik. Es gab natürlich auch noch weitere Autoren, die typische Werke veröffentlichten, doch niemand übertraf die Fülle und die Popularität dieser vier Autoren.

Das 219 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 38 Versen mit nur einer Strophe. Johann Wolfgang von Goethe ist auch der Autor für Gedichte wie „An Belinden“, „An Lida“ und „An den Mond“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Osterspaziergang“ weitere 1618 Gedichte vor.

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