Ostern von Heinrich Kämpchen

Ich mache meinen Ostergang,
In freier Luft, am Bergeshang,
Fernab vom Menschentreiben.
Der lauten Stadt bin ich entfloh’n,
Der Tageslast, der Wochenfron, –
Allein will ich verbleiben. –
 
Allein – und doch welch’ trüber Hall,
Wie fernverlor’ner Klageschall,
Will jach mein Ohr umtönen.
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Von allen Seiten dringt er her,
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Vermischt mit Seufzern tief und schwer,
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Mit Jammerlaut und Stöhnen. –
 
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Und in der reinen Osterluft
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Spür’ ich den moderschwülen Duft,
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Wie er das Grab umwittert.
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Aus tausend Grüften schwelt der Hauch,
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Aus tausend Klüften, sind sie auch
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Verschlossen und umgittert. –
 
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Und jetzt versteh’ ich auch den Klang,
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so sterbetraurig und so bang’,
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Von dem mein Ohr umhallet.
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Es ist der Massenschrei der Not,
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Der Hörigkeit nach Dach und Brot,
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Der aus der Tiefe schallet. –
 
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Der Schrei nach Freiheit, Luft und Licht,
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Der fern aus Schacht und Stollen bricht,
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Aus Werkstatt und Fabriken.
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Er steigt herauf wie düst’re Flut,
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Er schwillt von Elend, Brand und Blut
30 
Und stetigem Bedrücken. –
 
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Heloten, Fröner – Osterluft,
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Ihr wittert sie in Qualm und Gruft,
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Und spürt den Geist des Maien. –
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Er kommt, er kommt – doch helft auch ihr
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Aufsprengen mit die Grabestür,
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Helft mit, euch zu befreien. –
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.3 KB)

Details zum Gedicht „Ostern“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
190
Entstehungsjahr
1909
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Ostern“ wurde von dem deutschen Schriftsteller Heinrich Kämpchen verfasst, der von 1847 bis 1912 lebte. Damit kann das Werk in die Epoche des Naturalismus bzw. der vorangehenden Jahrhundertwende eingestuft werden, welche durch soziale und politische Themen geprägt waren.

Auf den ersten Blick scheint das Gedicht vom Genuss der Natur während eines Osterspaziergangs zu erzählen. Doch in den nachfolgenden Strophen führt Kämpchen auf, dass trotz der scheinbar heiteren und ruhigen Umgebung Leid und Verzweiflung allgegenwärtig sind. Er macht das Elend der Arbeiterklasse, deren Sehnsucht nach Freiheit, Luft und Licht, deutlich.

Kämpchen nutzt Metaphern und klangliche Gestaltung, um die beklemmende Atmosphäre und das Gefühl der Arbeiter zu vermitteln. Beispielsweise spricht er von „moderschwülen Duft“, der das Grab umwittert, was sowohl eine düstere Stimmung hervorruft, als auch symbolisch das Elend der Arbeiter unter schlechten Arbeitsbedingungen darstellt.

Das Gedicht erfüllt somit die Funktion einer sozialen und politischen Kritik. Es spiegelt die gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit wider und fordert zu aktivem Handeln auf, was in den letzten Versen zum Ausdruck gebracht wird: „Helft mit, euch zu befreien.“ Damit fordert er die Arbeiterklasse auf, sich nicht länger den herrschenden Zuständen zu unterwerfen und sich für ihre Rechte einzusetzen.

Das Gedicht besteht aus 6 sechszeiligen Strophen bzw. Versabschnitten, was eine recht strikte Formgebung darstellt. Die Sprache ist recht pathetisch und bildhaft, was zur Verdeutlichung der schwierigen Zustände und zur Emotionalisierung des Lesers beiträgt. Die Thematik wird damit nicht nur beschrieben, sondern in ihrer emotionalen Wirkung verstärkt.

Insgesamt ist das Gedicht „Ostern“ von Heinrich Kämpchen eine sozialkritische Dichtung, die sich eindrücklich mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der damaligen Zeit auseinandersetzt. Es zeigt die dunkle Seite des industriellen Fortschritts auf und fordert zu Veränderung auf. Das lyrische Ich fungiert dabei als Beobachter und Kommentator dieser Missstände.

Weitere Informationen

Heinrich Kämpchen ist der Autor des Gedichtes „Ostern“. Der Autor Heinrich Kämpchen wurde 1847 in Altendorf an der Ruhr geboren. 1909 ist das Gedicht entstanden. In Bochum ist der Text erschienen. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das vorliegende Gedicht umfasst 190 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 36 Versen. Der Dichter Heinrich Kämpchen ist auch der Autor für Gedichte wie „Am goldenen Sonntag“, „An Annette von Droste-Hülshoff“ und „An Hertha“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Ostern“ weitere 165 Gedichte vor.

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