Ophelia von Georg Heym
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Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten, |
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Und die beringten Hände auf der Flut |
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Wie Flossen, also treibt sie durch den Schatten |
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Des großen Urwalds, der im Wasser ruht. |
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Die letzte Sonne, die im Dunkel irrt, |
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Versenkt sich tief in ihres Hirnes Schrein. |
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Warum sie starb? Warum sie so allein |
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Im Wasser treibt, das Farn und Kraut verwirrt? |
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Im dichten Röhricht steht der Wind. Er scheucht |
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Wie eine Hand die Fledermäuse auf. |
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Mit dunklem Fittich, von dem Wasser feucht |
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Stehn sie wie Rauch im dunklen Wasserlauf, |
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Wie Nachtgewölk. Ein langer, weißer Aal |
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Schlüpft über ihre Brust. Ein Glühwurm scheint |
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Auf ihrer Stirn. Und eine Weide weint |
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Das Laub auf sie und ihre stumme Qual. |
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II. |
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Korn. Saaten. Und des Mittags roter Schweiß. |
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Der Felder gelbe Winde schlafen still. |
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Sie kommt, ein Vogel, der entschlafen will. |
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Der Schwäne Fittich überdacht sie weiß. |
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Die blauen Lider schatten sanft herab. |
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Und bei der Sensen blanken Melodien |
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Träumt sie von eines Kusses Karmoisin |
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Den ewigen Traum in ihrem ewigen Grab. |
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Vorbei, vorbei. Wo an das Ufer dröhnt |
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Der Schall der Städte. Wo durch Dämme zwingt |
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Der weiße Strom. Der Widerhall erklingt |
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Mit weitem Echo. Wo herunter tönt |
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Hall voller Straßen. Glocken und Geläut. |
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Maschinenkreischen. Kampf. Wo westlich droht |
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In blinde Scheiben dumpfes Abendrot, |
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In dem ein Kran mit Riesenarmen dräut, |
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Mit schwarzer Stirn, ein mächtiger Tyrann, |
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Ein Moloch, drum die schwarzen Knechte knien. |
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Last schwerer Brücken, die darüber ziehn |
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Wie Ketten auf dem Strom, und harter Bann. |
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Unsichtbar schwimmt sie in der Flut Geleit. |
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Doch wo sie treibt, jagt weit den Menschenschwarm |
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Mit großem Fittich auf ein dunkler Harm, |
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Der schattet über beide Ufer breit. |
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Vorbei, vorbei. Da sich dem Dunkel weiht |
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Der westlich hohe Tag des Sommers spät, |
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Wo in dem Dunkelgrün der Wiesen steht |
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Des fernen Abends zarte Müdigkeit. |
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Der Strom trägt weit sie fort, die untertaucht, |
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Durch manchen Winters trauervollen Port. |
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Die Zeit hinab. Durch Ewigkeiten fort, |
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Davon der Horizont wie Feuer raucht. |
Details zum Gedicht „Ophelia“
Georg Heym
12
49
322
1911
Expressionismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Ophelia“ stammt von Georg Heym, einem deutschen Dichter des frühen 20. Jahrhunderts. Er war ein Vertreter des literarischen Expressionismus und lebte von 1887 bis 1912.
Auf den ersten Blick erweckt das Gedicht einen düsteren und melancholischen Eindruck. Es beginnt mit der Beschreibung der Hauptfigur, die Ophelia, eine Figur aus Shakespeares Drama „Hamlet“, zugeschrieben wird. Ophelia driftet tot auf dem Wasser, umgeben von Natur.
In einfachen Worten erzählt das Gedicht die Geschichte von Ophelias Tod und wie ihre Leiche mit der Strömung auf eine Reise geschickt wird, die sie durch verschiedene Landschaften und Erfahrungen führt. Die genauen Gründe für ihren Tod werden nicht direkt erklärt, aber die Dunkelheit und Einsamkeit, die sie umgeben, verbreiten eine Atmosphäre von Traurigkeit und Trauer.
Formal besteht das Gedicht aus 12 Strophen, von denen jede typischerweise vier Verse enthält. Die Sprache des Gedichts ist symbolisch und bildlich, beinhaltet eine ganze Reihe von Metaphern und macht umfangreichen Gebrauch von personifizierten Natur- und technischen Elementen. Das lyrische Ich kommentiert Ophelias Schicksal aus einer distanzierten Perspektive und schneidet dabei Themen wie Sterblichkeit, Zeit und Einsamkeit an.
Die komplexe, expressive Sprache, die Detailliertheit und der umfangreiche Gebrauch von Symbolik sind typisch für Heyms Schreibstil und den literarischen Expressionismus im Allgemeinen. Die Darstellung von Ophelia und ihre Reise durch die Natur wirft Fragen auf über Leben und Tod, Vergänglichkeit und die Rolle und Bedeutung des Einzelnen in der Welt.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Ophelia“ des Autors Georg Heym. 1887 wurde Heym in Hirschberg geboren. Im Jahr 1911 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Expressionismus zugeordnet werden. Heym ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 322 Wörter. Es baut sich aus 12 Strophen auf und besteht aus 49 Versen. Die Gedichte „Der Blinde“, „Der Fliegende Holländer“ und „Der Gott der Stadt“ sind weitere Werke des Autors Georg Heym. Zum Autor des Gedichtes „Ophelia“ haben wir auf abi-pur.de weitere 79 Gedichte veröffentlicht.
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Zum Autor Georg Heym sind auf abi-pur.de 79 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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