Olle Kamellen? von Kurt Tucholsky

Vor der Front ein junger Bengel.
Er moniert die Fehler, die Schlappheit, die Mängel.
Im Gliede lauter alte Leute.
… Schlechter Laune der Leutnant heute …
„Das kann ich der Kompagnie erklären:
Ich werde euch Kerls das Strammstehen schon lehren!
Nehmen Sie die Knochen zusammen, Sie Schwein!“
Und das soll alles vergessen sein?
 
Drin im Kasino ist großer Trubel.
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Gläserklingen. Hurragejubel.
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Sieben Gänge, dreierlei Weine.
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Der Posten draußen hat kalte Beine.
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Er denkt an Muttern, an zu Haus;
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die Kinder, schreibt sie, sehn elend aus.
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Drin sind sie lustig und krähen und schrein –
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Und das soll alles vergessen sein?
 
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Und das sei alles vergeben, vergessen?
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Die Tritte nach unten? der Diebstahl am Essen?
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Bei Gott! das sind keine alten Kamellen!
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Es wimmelt noch heute von solchen Gesellen!
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Eingedrillter Kadaverrespekt –
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wie tief der noch heut in den Köpfen steckt!
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Er riß uns in jenen Krieg hinein –
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Und das soll alles vergessen sein?
 
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Nicht vergessen. Wir wollen das ändern.
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Ein freies Land unter freien Ländern
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sei Deutschland – mit freien Bewohnern drin,
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ohne den knechtischen Dienersinn.
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Wir wollen nicht Rache an Offizieren.
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Wir wollen den deutschen Sinn reformieren.
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Sei ein freier Deutscher – Bruder, schlag ein!
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Und dann soll alles vergessen sein!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.2 KB)

Details zum Gedicht „Olle Kamellen?“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
196
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht stammt von Kurt Tucholsky, einem deutschen Journalisten und Schriftsteller, der von 1890 bis 1935 lebte. Das Gedicht lässt sich zeitlich in die postmonarchistische, vorausrevolutionäre Phase der Weimarer Republik einordnen, in der sich Tucholski als kritischer Begleiter des gesellschaftlichen Wandels verstand und kontrovers diskutierte Themen aufgriff.

Beim ersten Lesen erscheint das Gedicht als eine nachdenkliche, kritische Auseinandersetzung mit den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen, insbesondere dem Militär und seiner Behandlung der Soldaten.

Inhaltlich schildert das Gedicht die Missstände im militärischen Alltag. Dies geht von der autoritären Strenge und Respektlosigkeit eines Leutnants gegenüber den Soldaten (1. Strophe), über die hedonistische und rücksichtslose Sorglosigkeit der Offiziere im Kasino (2. Strophe), bis hin zu den mangelhaften Versorgungsbedingungen der Soldaten (3. Strophe). Tucholsky kritisiert die Militärhierarchie und stellt die Selbstverständlichkeit dieser Verhältnisse infrage. Er prangert an, wie tief solche Strukturen und Respektlosigkeiten in der Gesellschaft verankert sind und meint, dass dies nicht vergessen oder vergeben werden sollte.

Genauer betrachtet, nutzt Tucholsky eine einfache und direkte Sprache, die krass und bildhaft die unterschiedlichen Szenarien skizziert, als eine Art satirischer Vergleich zwischen dem luxuriösen Leben der Offiziere und der harten Realität der einfachen Soldaten. Seine regelmäßige Wiederholung des Verses „Und das soll alles vergessen sein?“ impliziert die Notwendigkeit eines kollektiven Gedächtnisses und der Bewusstwerdung dieser Ungerechtigkeiten.

Die Form des Gedichts lässt sich als konventionelles vierstrophiges Gedicht mit je acht Versen beschreiben. Jede Strophe endet mit einer rhetorischen Frage, die den Leser zum Nachdenken anregen soll.

In der letzen Strophe fordert Tucholsky aktiv eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse und eine Erneuerung des deutschen Sinnes für Freiheit und Respekt. Er ruft dazu auf, diese autoritäre Vergangenheit hinter sich zu lassen und eine Gemeinschaft der Gleichheit und Brüderlichkeit aufzubauen.

Zusammenfassend ist Tucholskys Gedicht „Olle Kamellen?“ ein leidenschaftlicher und scharfzüngiger Appell gegen die Ungerechtigkeiten und Repressionen des Militärs und für eine Gesellschaft, die auf Freiheit, Respekt und Gleichheit basiert.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Olle Kamellen?“ ist Kurt Tucholsky. Geboren wurde Tucholsky im Jahr 1890 in Berlin. 1919 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Charlottenburg. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zuordnen. Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Erste Weltkrieg und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Weimarer Republik hatten großen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik. Bei der Neuen Sachlichkeit war der Inhalt der Texte wichtiger als die Form. Die Autoren dieser Bewegung wollten mit ihren Texten möglichst viele Menschen aus allen sozialen Schichten ansprechen. Aus diesem Grund wurden die Texte in einer alltäglichen Sprache verfasst und wurden oft im Stile einer dokumentarisch-exakten Reportage geschrieben. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht in der Fremde suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk im Heimatland bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist religiöse oder politische Gründe den Ausschlag. Die deutsche Exilliteratur entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten insbesondere die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten Deutschlands 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die Exilliteratur bildet eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Die Themen der deutschen Exilliteratur lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Autoren fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oftmals konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Tätigkeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in deutscher Sprache schreiben konnten, was im Ausland aber niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die Themen in ihren Werken. Andere Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte einerseits die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Andererseits aber auch den Widerstand unterstützen. Bestimmte formale Gestaltungsmittel wie zum Beispiel Metrum, Reimschema oder der Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel lassen sich in der Exilliteratur nicht finden. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Epoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Radioreden oder Flugblätter der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das Gedicht besteht aus 32 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 196 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Kurt Tucholsky sind „An die Meinige“, „An einen garnisondienstfähigen Dichter“ und „An ihren Papa“. Zum Autor des Gedichtes „Olle Kamellen?“ haben wir auf abi-pur.de weitere 136 Gedichte veröffentlicht.

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