Olle Germanen von Kurt Tucholsky

Papa ist Oberförster,
Mama ist pinselblond;
Georg ist Klassen-Oerster,
Johann steht an der Front
der Burschenschaft
‚Teutonenkraft‘.
Bezahlen tut der Olle.
Was Wotan weihen wolle!
 
Verjudet sind die Wälder,
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verjudet Jesus Christ.
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Wir singen über die Felder,
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wie das so üblich ist,
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in Reih und Glied
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das Deutschland-Lied.
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Nachts funkelt durch das Dunkel
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Frau Friggas Frost-Furunkel.
 
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Die Vorhaut, die soll wachsen,
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in Köln und Halberstadt;
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wir achten selbst in Sachsen,
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daß Jeder eine hat.
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Ganz judenrein
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muß Deutschland sein.
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Und haben wir zu saufen:
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Laß Loki ruhig laufen!
 
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Wer uns verlacht, der irrt sich.
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Uns bildet früh und spät
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für 1940
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die Universität.
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Wer waren unsre Ahnen?
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Kaschubische Germanen.
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Die zeugten zur Erfrischung
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uns Promenadenmischung.
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Drum drehten wir
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zum Beten hier
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die nationale Rolle.
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Was Wotan weihen wolle –!
 
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Theobald Tiger
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.2 KB)

Details zum Gedicht „Olle Germanen“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
37
Anzahl Wörter
129
Entstehungsjahr
1925
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Olle Germanen“ wurde von Kurt Tucholsky verfasst und kann durch den Hinweis in Strophe 4 auf das Jahr 1940 zeitlich in die Weimarer Republik bzw. den Vorkriegszeit des Zweiten Weltkriegs eingeordnet werden.

Beim ersten Lesen wirkt das Gedicht humorvoll und satirisch und es wird im weiteren Verlauf klar, dass hier mit deutschen Nationalismus und Antisemitismus, die damals zur Zeit des Dritten Reichs aktuell waren, gespielt wird.

Das Gedicht schafft ein Bild einer typischen deutschen Familie - der Vater als Oberförster, die Mutter mit blondem Haar, der eine Sohn Student bei der Burschenschaft „Teutonenkraft“ und der andere an der Front. Tucholsky stellt die deutsche Gesellschaft als rückwärtsgewandt und xenophob dar, die einerseits die alten germanischen Götter anruft, aber andererseits gegen das „Verjudete“ polemisiert. Es wird das Bild einer absurd nationalen und rassistischen Ideologie aufgezeigt, die das rein Deutsche idealisiert und stigmatisiert, was nicht in ihr Schema passt.

Formal gesehen folgt das Gedicht keinen klassischen starren Reimstrukturen oder Versmaßen, was seine Satire und den humoristischen Ton verstärkt. Die Sprache ist simple und benutzt typisch „deutsche“ und „nationale“ Begriffe, um die satirische Darstellung eines übersteigerten Nationalbewusstseins und daraus resultierendem Antisemitismus zu betonen.

In der letzten Strophe endet Tucholsky das Gedicht mit „Theobald Tiger“, einem seiner bekanntesten Pseudonyme, was ein weiteres humorvolles Element hinzufügt und die Absurdität der angesprochenen Themen unterstreicht.

Zusammengefasst verwendet Tucholsky also in diesem Gedicht die satirische Darstellung einer überzeichnet nationalen und rassistischen deutschen Familie, um Kritik an der damaligen politischen und sozialen Situation in Deutschland kurz vor dem Zweiten Weltkrieg zu üben.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Olle Germanen“ ist Kurt Tucholsky. Im Jahr 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1925. Erschienen ist der Text in Berlin. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Der Schriftsteller Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Republik hatten erheblichen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik. Bei der Neuen Sachlichkeit war der Inhalt der Texte wichtiger als die Form. Die Schreiber dieser Bewegung wollten mit ihren Texten möglichst viele Menschen aus allen sozialen Schichten ansprechen. Aus diesem Grund wurden die Texte in einer alltäglichen Sprache verfasst und wurden oft im Stile einer dokumentarisch-exakten Reportage geschrieben. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das im Jahr 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Autoren ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung im Jahr 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. Daraufhin flohen zahlreiche Schriftsteller aus Deutschland ins Ausland. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Themen wie Verlust der eigenen Kultur, existenzielle Probleme, Sehnsucht nach der Heimat oder Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland sind typisch für diese Epoche der Literatur. Bestimmte formale Gestaltungsmittel wie zum Beispiel Metrum, Reimschema oder der Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel lassen sich in der Exilliteratur nicht finden. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Expressionismus, Realismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte Gesellschaftsentwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das 129 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 37 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Der Dichter Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „An einen garnisondienstfähigen Dichter“, „An ihren Papa“ und „Apage, Josephine, apage–!“. Zum Autor des Gedichtes „Olle Germanen“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

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