Oben und Unten von Richard Dehmel

Ueber die grauen Dächer weg,
hoch hier oben,
durch die langen roten Nelken,
die vor meinem offnen Fenster
leise zwischen mir
und dem blauen Abendhimmel schwanken,
will mein Auge,
will meine Seele
hinaus, hinauf.
 
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Um die höchste goldene Kirchturmkugel,
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im letzten fernen Lichte,
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mit hellen Flügeln,
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zieht ein Taubenschwarm
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zitternde Kreise
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über dem Hause
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meiner Geliebten.
 
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Aus dem blassen Westen
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will der erste Stern und überflimmert
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scheu den lauten Dunst und trüben Lärm
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der großen Stadt hier unten,
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wie der erste, winkende Traumgedanke
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aus dem wirren Schwarm der Lebensfragen
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in der Seele des Müden taucht –
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da klopft es.
 
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Klopft und ist auch schon im Stübchen,
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sitzt mir auf dem Stuhle gegenüber,
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sagt kein Wort, und nur die roten Lippen
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unterm schwarzen Ringelhaar
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winken roter als die rote Bluse
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auf den scheuen Knospen ihres Busens;
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und ich sage auch nichts.
 
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Ihre schwarzen Augensterne zittern
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durch die stumme Dämmerung des Stübchens
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hoch hier oben
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einen süßen jungen Evablick
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nach den langen roten Nelken hin;
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ihre Augen!
 
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Und ich angle nach ihr mit den Beinen,
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diesen Perpendikeln meines Herzens:
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Kleine, merkst du,
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was die Uhr geschlagen hat? –
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.6 KB)

Details zum Gedicht „Oben und Unten“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
41
Anzahl Wörter
184
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts „Oben und Unten“ ist Richard Dehmel, ein deutscher Dichter und Schriftsteller, der zwischen 1863 und 1920 lebte. Somit kann das Gedicht zeitlich der Epoche des Naturalismus und des Symbolismus zugeordnet werden.

Schon beim ersten Lesen wird deutlich, dass das Gedicht eine lyrische, romantische Atmosphäre umgibt. Der lyrische Sprecher wirkt verträumt und nachdenklich, während er seine Umgebung und seine Gefühle beschreibt.

Der Inhalt des Gedichts ist eine emotionale Landschaft, die von der physischen Umgebung des lyrischen Ichs beeinflusst wird. In der ersten Strophe sehnt sich das lyrische Ich danach, seinen Blick und seine Seele in den blauen Abendhimmel zu schicken. Die darauf folgenden Strophen beschreiben Szenen rund um die Stadt und ein Haus, in dem offensichtlich die Geliebte des lyrischen Ichs wohnt. Der Text endet mit einer intimen Begegnung zwischen dem lyrischen Ich und einer Frau in seinem Zimmer. Das lyrische Ich scheint eine tiefe emotionale Bindung zu dieser Frau zu haben, obwohl wenige Worte geteilt werden.

Die Dichtungsform des Gedichts ist freie Verse. Das Gedicht ist nicht durch ein festes Metrum oder Reimschema gebunden, obwohl es poetische Elemente wie Alliteration und Assonanz enthält. Es folgt vielmehr dem natürlichen Rhythmus der Sprache und dem emotionalen Fluss der Gedanken des lyrischen Ichs. Die Sprache des Gedichts ist reich an Adjektiven und metaphorischen Ausdrucksformen.

Dehmel nutzt Bildsprache und Metaphern, um die Veduten der Stadt und die Beziehung zwischen dem lyrischen Ich und der Frau zu beschreiben. Er verwendet Elemente aus der Natur, wie den Himmel, Sterne und Blumen, um Gefühle und die Wechselwirkung zwischen Innen und Außen zu veranschaulichen. Die Intensität der Farben und Bilder spiegelt die tiefen Gefühle und die emotionalen Schwankungen des lyrischen Ichs wider.

So ist „Oben und Unten“ ein Gedicht, das reich an Bildern und Emotionen ist und die innere Welt des lyrischen Ichs in Bezug auf seine äußere Umgebung widerspiegelt. Es zeigt eindrücklich, wie Dichter wie Dehmel das Genre der Lyrik nutzten, um komplexe innere Landschaften auszudrücken und dabei die gängigen Konventionen von Metrum und Reim in Frage stellten.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Oben und Unten“ des Autors Richard Dehmel. 1863 wurde Dehmel in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1893 entstanden. München ist der Erscheinungsort des Textes. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Dehmel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 184 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 41 Versen. Die Gedichte „Ballade vom Volk“, „Bann“ und „Bastard“ sind weitere Werke des Autors Richard Dehmel. Zum Autor des Gedichtes „Oben und Unten“ haben wir auf abi-pur.de weitere 522 Gedichte veröffentlicht.

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