Nachruf an Seume von Karl Ludwig August Heino Freiherr von Münchhausen
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Ich saß, umbraust vom kriegrischen Gewühle, |
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Und sann, auf meinen Arm gestützt, dem Spiele |
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Des Schicksals und der Menschen nach; |
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Da hört’ ich fernen Laut bekannter Stimme. |
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Es tönte, wie mit Todesboten Grimme, |
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Ein Abschiedsruf den Träumer wach. |
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Ich hörte Dich; vernahm nun voll Erstaunen, |
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Im Schlachtgeklirr, durchs Donnern der Kartaunen, |
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Dein Lebewohl; ich fühlte deinen Kuß. |
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O, daß ich noch mit diesen Trennungsschmerzen |
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Dich teutschen Sänger nur im Geiste herzen, |
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Nur noch im Traume schauen muß! |
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O, Mann! der einst auf wilden Meereswoogen |
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Vereint mit mir die halbe Welt durchzogen, |
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Und einen Bissen Brod getheilt; |
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Was treibt den Mann von Geisteskraft und Gaben |
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Daß er, gleich einem wilden raschen Knaben |
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Zu fremdem Heerde taumelnd eilt? |
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Wer drängt dich aus der Weisheit stillen Klause? |
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Wer jagt dich mit der Unruh Sturmgebrause |
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Wie Kain über Meer und Land? |
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Sprich: treibt bey dem Geräusch zerrißner Fahnen |
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Von dem Huronenland bis zu den Kamschatanen |
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Dich Weisheit oder Gottes Hand? |
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Ich kenne dich, seit längst verfloß’nen Jahren, |
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Da du mit mir die Fingalskluft umfahren; |
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Selbst deine Lieblingsträumerey, |
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Von Karavanen und von Pilgerreisen, |
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Von fremden Völkern und von Weltumkreisen |
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Und was wohl unterm Pole sey. |
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Ich kenne dich in deiner Freunde Kreise; |
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Ich kenne dich in deiner selt’nen Weise |
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In der du Menschenprüfer bist. |
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Ich kenne den Verwüster deines Glückes |
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Und weiß den Urquell deines finstern Blickes |
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Und – was dir Heilungsbalsam ist. |
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Ein Amt, der leeren Stunden Raum zu füllen; |
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Ein Weib, aus Fluren geßnerscher Idyllen, |
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Dazu ein frohes Tuskulum, |
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Das formte dich von Karmels ewigem Hebräer |
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Zum besten freundlichsten Epikuräer, |
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Zu Wandsbecks heiterm Asmus um. |
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Und sollte denn von allen diesen Gaben |
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Mein teutsches Vaterland nicht eine haben, |
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Daß du in seinen Grenzen bliebst? |
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Die Schuld ist dein; du willst in unsern Gauen |
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Dir keinen Kohl zum kleinen Mahle bauen, |
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Weil du das Sonderbare liebst. |
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Beklagenswürdig Freund, sind die Tymone |
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Bey jedem Volk und unter jeder Zone; |
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Bey ihnen wohnt die Freude nie. |
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Sie sind vor jedem Menschenantlitz bange; |
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Sind ew’ger Mißlaut in dem Sphärenklange |
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Von unsers Schöpfers Harmonie. |
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Hier wäge: Vater seyn von frommen Kindern, |
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Ein Tröster, der bedrängten Gram zu lindern; |
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Ein Freund der ächten Menschenpflicht: |
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Und nun, ein Mann von finsteren Gesichtern |
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Der, gleich den alten grauen Höllenrichtern |
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Den Menschen nur ihr Urtheil spricht! |
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Laß uns mit Ruh und unverbundnen Augen |
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Nicht Gift, nur Honig aus den Blumen saugen |
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Die unsers Schöpfers Garten zeugt. |
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Man muß nicht einer ganzen Flur mißtrauen, |
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Wenn hier und dort in seegensreichen Auen |
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Durch Blumen eine Schlange schleicht. |
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O Sohn des Unmuths komm in meine Arme! |
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Dein Busenfreund giebt Lindrung deinem Harme, |
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Der dir am wunden Herzen frißt. |
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O, starre nicht mit schaurigem Gefühle |
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Voll Schwermuth in der Elster Wellenspiele, |
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Wo, wie du wähnst, kein Glück dich küßt. |
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Die Ruh ist Glück und Balsam unsers Lebens; |
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Der größte Weise suchet sie vergebens |
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Bis er sein Sanssouci bezieht. |
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Denn sieh! was schuf in jenen Schneegefilden |
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Die edle Größe unsers wackern Wilden? |
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Die Ruh, die seine Stirn verrieth. |
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Wohlan! wenn du die Forscherbahn geendet |
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Und deinen Sarazenenzug vollendet, |
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Dann kehre heim ins Vaterland, |
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Und knüpfe, vor Beginn der grauen Haare, |
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Zu deinem Glück, an Gottes Weihaltare |
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Ein süßes ewigliches Band. |
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Sey dann mein Nachbar in dem Weserthale |
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Und trink mit mir aus einer Muschelschale |
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Und iß mit mir von einem Brod. |
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Dann wird der Schatten eines Baums uns decken, |
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Und ein Gesang der Nachtigall uns wecken, |
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Im goldgestreiften Morgenroth. |
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Denn schleichst mit Geßnern du zum Schäferpfürche |
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Und fährst mit Goeking in die Harzgebürge, |
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Mit Klopstok auf der Sternenbahn; |
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Mit Schillern tönest du das Lied der Freude, |
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Und wallst in grauer Helden Nebelkleide |
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Umher mit Vater Ossian. |
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Und ziehn wir nun, umhallt vom lauten Hifte |
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Des Jagdhorns, durch die grauen Felsenklüfte |
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Mit dem bereiften Doggenschwarm; |
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So werden wir in unsrer stillen Klause, |
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Des Abends, bey dem kleinen Wildprettschmause |
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Im Kreis der Freundschaft wieder warm. |
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Doch, wirst du einst, in meiner Väter Gründen, |
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Dein harrend, deinen Freund nicht wieder finden; |
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So ist vollbracht sein kleiner Lauf: |
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Dann suche deines Busenfreundes Hügel |
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Und richte mir, als unsers Bundes Siegel, |
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Den nächsten Stein zum Denkmal auf. |
Details zum Gedicht „Nachruf an Seume“
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1793
Klassik
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Nachruf an Seume“ wurde von Karl Ludwig August Heino Freiherr von Münchhausen, geboren am 17. Februar 1759 und gestorben im Jahr 1836, verfasst. Damit lässt sich das Gedicht zeitlich in die Literaturepoche der Romantik einordnen.
Auf den ersten Blick scheint das Gedicht die Gefühle und Gedanken des lyrischen Ichs gegenüber einer geliebten und verehrten Person, namentlich Seume, auszudrücken. Dieser Abschied und Nachruf hat eine tiefe, sehnsüchtige und melancholische Note.
Inhaltlich geht es vor allem um die tiefe Verbundenheit, die das lyrische Ich zu Seume fühlt. Es reflektiert die gemeinsame Zeit, erinnernd an gemeinsame Abenteuer, Träume und Ideale. Das lyrische Ich bedauert den Abschied, scheint den geliebten Freund zu vermissen. Es würdigt seine Talente und sein Temperament, ist aber gleichzeitig besorgt um seinen rastlosen Geist. Das lyrische Ich bietet Trost und Heilung an und drückt die Hoffnung auf ein Wiedersehen aus.
Das Gedicht besteht aus 18 Strophen zu je sechs Versen. Diese Gleichmäßigkeit verleiht dem Gedicht eine gewisse Ordnung und Stabilität, was in gewissem Kontrast zu den tiefen Emotionen und der scheinbaren Unruhe von Seume steht. Der Sprachgebrauch des Gedichts ist geprägt von einem eher gehobenen, bildreichen und teils altertümlich anmutenden Deutsch. Dies unterstreicht die kulturelle und intellektuelle Nähe der beiden Freunde.
Das Gedicht beeindruckt durch seinen reichen emotionalen Gehalt, seine ausdrucksstarken Metaphern und seine rhythmische Sprache. Gleichzeitig zeugt es von einer tiefen, fast brüderlichen Freundschaft, die über den Tod hinaus Bestand hat.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Nachruf an Seume“ ist Karl Ludwig August Heino Freiherr von Münchhausen. Münchhausen wurde im Jahr 1759 in Klein-Oldendorf geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1793 zurück. Leipzig ist der Erscheinungsort des Textes. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Klassik zugeordnet werden. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das 677 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 108 Versen mit insgesamt 18 Strophen. Zum Autor des Gedichtes „Nachruf an Seume“ haben wir auf abi-pur.de keine weiteren Gedichte veröffentlicht.
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