Nach zehn Jahren von Rudolf Lavant
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Als einstmals ihr im hohen Rat |
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Wie Schächern uns den Stab gebrochen, |
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Da hat, der euch entgegentrat, |
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das spöttisch-stolze Wort gesprochen: |
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„Versucht es doch – in seinem Flug |
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Den schwingenstarken Aar zu greifen! |
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Wir sind schon lange stark genug |
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Auch auf dies Schandgesetz zu pfeifen!“ |
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Es stach das Wort gleich einem Dorn, |
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Der abgebrochen in der Wunde; |
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Es war in seinem Hohn und Zorn |
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Das rechte Wort zur rechten Stunde. |
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Der Feder ganzes Lumpenpack |
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Hat wider dieses Wort geeifert, |
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Und Mameluk und Preßkosak |
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Hat um die Wette es begeifert. |
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Was focht das Manneswort es an, |
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Das giftige Gequieck der Ratte? |
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„Das Wort – sie sollen’s lassen stahn“ – |
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Kein beß’res fiel in der Debatte! |
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Hofrätlich ist es freilich nicht, |
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Doch wie der Schnabel ihm gewachsen, |
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So – und zu seiner Ehre! – spricht |
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Der feste Stamm der Niedersachsen. |
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Zehn Jahre habt ihr Zeit gehabt, |
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Das Wort, das damals unsre Herzen, |
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Die schmerzvoll grollenden, gelabt, |
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Aus dem Gedächtnis auszumerzen. |
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Und dennoch klang es fort und fort; |
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Es ward den Jahren nicht zur Beute, |
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Des teuren Toten markig Wort – |
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Und Giltigkeit hat es noch heute! |
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Vom Fluch der bösen Tat gehetzt |
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Habt das – Gesetz ihr so gedeutet; |
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Daß wir, die nichts in Staunen setzt, |
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Anstaunten, wie ihr’s ausgebeutet. |
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Es wuchs sich aus, ob siech und fahl, |
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Das Kind des Hasses und der Lüge – |
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Den eignen Vätern sind fatal |
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Des Wechselbalgs gemeine Züge. |
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Und doch – gelang es auch, dem Aar |
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Mit dieser Scheere Zwick zu stutzen |
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Das starke, junge Schwingenpaar? |
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Wir fragen euch: Wo blieb der Nutzen? |
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Den stolzen Vogel fängt kein Netz, |
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Und schartig wird, was überschliffen – |
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Wir pfeifen auf das Schandgesetz, |
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Wie Bracke einst darauf gepfiffen. |
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Ob ihr’s verlängert, blank und nackt, |
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Ob ihr, der Scham es anzupassen, |
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In etwas Watte es verpackt – |
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Uns wird erstaunlich kühl es lassen. |
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Begründet noch ein Spitzelkorps – |
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Das hindert nicht die Saat, zu reifen, |
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Wir werden eben nach wie vor |
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Auf solche Prachtgesetze pfeifen. |
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Zehn Jahre – Spielraum war’s vollauf, |
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Besonders für so – kluge Leute; |
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Es blühte der Gewissenskauf, |
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Und doch, ihr Herrn, wie steht es heute? |
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Ihr brecht uns und ihr kauft uns nicht, |
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Wo wir auch immer flüchtig schweifen; |
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Ihr macht ein grämlich-stumm Gesicht |
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Und wir – nun, meine Herrn, wir pfeifen! |
Details zum Gedicht „Nach zehn Jahren“
Rudolf Lavant
8
64
367
nach 1860
Realismus,
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Nach zehn Jahren“ wurde von dem österreichischen Dichter Rudolf Lavant geschrieben, der von 1844 bis 1915 lebte. Dies lässt auf eine zeitliche Einordnung in die zweite Hälfte des 19. und den Anfang des 20. Jahrhunderts schließen, in einer Zeit politischer und gesellschaftlicher Umbrüche in Europa.
Auf den ersten Blick besticht das Gedicht durch seinen mächtigen, teilweise herablassenden Ton und den Einsatz von symbolträchtigen Metaphern wie dem „Aar“, der für unabhängige Stärke und Widerstandsfähigkeit steht. Es scheint, als gäbe es eine Konfrontation zwischen dem lyrischen Ich und einer instabilen Autorität.
Inhaltlich wird im Gedicht der Widerstand des lyrischen Ich gegen ein als ungerecht empfundenes „Schandgesetz“ beschrieben. Dieses Gesetz scheint dem lyrischen Ich und anderen die Freiheit zu nehmen und wird trotz zehnjähriger Anwendung stark kritisiert. Zwar haben die Autoritäten versucht, dieses Gesetz und seine Folgen zu rechtfertigen, in den Augen des lyrischen Ichs bleibt es jedoch eine Form der Unterdrückung. Das lyrische Ich pfeift auf das Gesetz und ruft zum Widerspruch gegen die Autorität auf.
Die Form des Gedichts ist streng strukturiert mit jeweils acht Versen pro Strophe. Diese Struktur könnte eine Form von Ordnung inmitten der kritisierten politischen Missstände darstellen. Die Sprache des Gedichts ist klar und direkt mit starken Bildern und Metaphern, die einen starken Eindruck von Widerstand und Widerwillen gegen die autoritäre Macht vermitteln.
Zusammenfassend zeigt „Nach zehn Jahren“ von Rudolf Lavant den Widerstand des lyrischen Ichs gegen eine autoritäre Macht und ein ungerechtes Gesetz. Durch die starke Sprache und die symbolträchtigen Bilder hinterlässt das Gedicht einen bleibenden Eindruck des Ungehorsams und der Unabhängigkeit gegenüber der bestehenden Ordnung.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Nach zehn Jahren“ ist Rudolf Lavant. Im Jahr 1844 wurde Lavant in Leipzig geboren. In der Zeit von 1860 bis 1915 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Berlin. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus oder Avantgarde / Dadaismus zuordnen. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das vorliegende Gedicht umfasst 367 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 64 Versen. Der Dichter Rudolf Lavant ist auch der Autor für Gedichte wie „An unsere Feinde“, „An unsere Gegner“ und „An la belle France.“. Zum Autor des Gedichtes „Nach zehn Jahren“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 96 Gedichte vor.
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Zum Autor Rudolf Lavant sind auf abi-pur.de 96 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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