Nach fünf Jahren von Kurt Tucholsky

Und Vater tot und Bruder tot
und einer kriegsgefangen;
und Mutter sitzt in Rentennot:
Was essen meine Rangen …?
So stehn wir da im schäbigen Kleid
und denken an die alte Zeit.
Und hassen.
 
Und hassen jenen Preußengeist,
der uns geduckt, betrogen.
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Und hassen, was von Orden gleißt.
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Ihr Aar ist fortgeflogen.
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Er hinterließ als armen Rest
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uns nur ein ganz beschmutztes Nest
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und graue Elendsmassen.
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Wir hassen.
 
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Hör, Bruder, standest du nicht stramm
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vor Knechten und vor Schiebern?
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Du gingst zur Schlacht als Opferlamm.
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Wir fiebern, fiebern, fiebern …
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Wach auf! Du warst so lange krank!
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Es dauert nicht ein Leben lang!
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Mußts nur nicht gehen lassen!
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Wir hassen.
 
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Brenn aus! Brenn aus! Mit Stumpf und Stiel!
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Greif mutig in den Himmel!
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Die Oberschicht – sie zählt nicht viel –
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versinkt in dem Gewimmel.
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In Dreck und Blut und Schlamm und Schmerz
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blieb uns ein warmes Menschenherz.
30 
Schlag zu mit wuchtigen Hieben!
31 
Wir lieben!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.8 KB)

Details zum Gedicht „Nach fünf Jahren“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
31
Anzahl Wörter
151
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht stammt von Kurt Tucholsky, einem deutschen Schriftsteller und Journalisten. Tucholsky lebte von 1890 bis 1935 und gehört somit der literarischen Epoche der Weimarer Republik an. In dieser Zeit fanden tiefgreifende gesellschaftliche und politische Veränderungen statt, die auch in Tucholskys Werken ihren Ausdruck finden.

Auf den ersten Blick fällt der Gebrauch von starken Emotionen und Verlusten auf. Das lyrische Ich schildert einerseits tiefe Trauer und Not, andererseits jedoch auch Hass und Wut.

Inhaltlich handelt das Gedicht von den Folgen des Krieges, die es aus Sicht derer schildert, die zurückgeblieben sind. Die Mutter, die in Armut gezwungen ist, ihre Kinder alleine zu versorgen, die Verluste in der Familie und die Armut sind zentrale Themen des Gedichts. Die zweite und dritte Strophe thematisieren Hass gegenüber denen, die für den Krieg verantwortlich gemacht werden - dem „Preußengeist“ und den „Knechten und Schiebern“. Die letzte Strophe ruft zu Widerstand und Handeln auf.

Formal besteht das Gedicht aus vier Strophen mit jeweils unterschiedlicher Versanzahl. Die Sprache ist klar und direkt, das lyrische Ich spricht oft direkt den Leser oder einen nicht näher definierten „Bruder“ an. Besonders auffällig ist das häufig wiederholte „Wir hassen“, was die Wut und das Unverständnis über die Situation unterstreicht.

Im Gesamten gesehen ist das Gedicht ein politisches Statement gegen Krieg, Elend und diejenigen, die solche Situationen auslösen. Es ist eine Aufforderung zum Widerstand und zur Veränderung sowie ein Plädoyer für Menschlichkeit und Zusammenhalt. Die wiederholten emotionalen Ausdrücke und die klare, einfache Sprache unterstützen diese Botschaft. Kurt Tucholsky war bekannt für seine scharfe Kritik an Militarismus, Nationalismus und sozialer Ungerechtigkeit, Themen, die auch in diesem Gedicht zum Ausdruck kommen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Nach fünf Jahren“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Kurt Tucholsky. Im Jahr 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1919 entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Die wichtigsten geschichtlichen Einflüsse auf die Literatur der Weimarer Republik waren der Erste Weltkrieg, der von 1914 bis 1918 andauerte, und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Weimarer Republik. Neue Sachlichkeit ist eine Richtung der Literatur der Weimarer Republik. In den ihr zugerechneten Werken ist die zwischen den Weltkriegen hervortretende Tendenz zu illusionslos-nüchterner Darstellung von Gesellschaft, Erotik, Technik und Weltwirtschaftskrise deutlich erkennbar. Dies kann man als Reaktion auf den literarischen Expressionismus werten. Die Dichter orientierten sich an der Realität. Die Handlung wurde meist nur kühl und distanziert beobachtet. Man schrieb ein Minimum an Sprache, dafür hatte diese ein Maximum an Bedeutung. Es sollten so viele Menschen wie möglich mit den Texten erreicht werden, deshalb wurde eine einfache sowie nüchterne Alltagssprache verwendet. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung von Walter Rathenau das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die zum Beispiel in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz setze den Schriftstellern dieser Zeit noch mal verstärkt Grenzen. 1931 trat die Pressenotverordnung in Kraft, dadurch waren die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate hinweg möglich geworden.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht im Ausland suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk in ihrer Heimat bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist politische oder religiöse Gründe den Ausschlag. Die deutsche Exilliteratur entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten insbesondere die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Themen wie Verlust der eigenen Kultur, existenzielle Probleme, Sehnsucht nach der Heimat oder Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland sind typisch für diese Literaturepoche. Bestimmte formale Merkmale lassen sich jedoch nicht finden. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Epoche geboren wurden. Das epische Theater von Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Flugblätter und Radioreden der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das 151 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 31 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Kurt Tucholsky sind „Achtundvierzig“, „All people on board!“ und „Also wat nu – ja oder ja?“. Zum Autor des Gedichtes „Nach fünf Jahren“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

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