Märzgedanken von Rudolf Lavant

Als ich ein Knabe noch mit lock’gem Haar,
Der ohne Arg auf jeden zugeschritten,
Als ich ein ahnungsloses Kind noch war,
Da hab ich schon von Haß und Hohn gelitten.
Ich weiß noch gut, wie bitter weh es tat,
Hört ich auf mich die harten Worte zielen:
„Sein Vater ist ein roter Demokrat –
Es schickt sich nicht, mit solcher Brut zu spielen.“
 
Ein tiefer Schatten fiel auf all mein Glück,
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Ich lernte früh, im stillen mich zu härmen.
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Ich zog mich schüchtern in mich selbst zurück
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Und hielt mich abseits von der Kinder Lärmen.
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Im stillen Wald ging ich mit mir zu Rat’,
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Und an der Wimper hing die Knabenzähre:
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„Was ist das nur, ein roter Demokrat,
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Und was kann Vater tun, das unrecht wäre?“
 
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Und als der Freiheit Tod- und Racheschrei
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Ergriffen mich in meinem tiefsten Wesen,
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Als man den Haß auf jede Tyrannei
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Auch ohne Wort in meinem Blick gelesen –
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Erhobnen Fingers, warnend, mahnend trat
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Zum jungen Hitzkopf mancher Kluge, Gute:
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„Dein Vater war ein roter Demokrat;
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Das spukt dir nun naturgemäß im Blute!“
 
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Und als der Schnee mir fiel aufs dunkle Haar
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Und dennoch ich mit Feuer statt mit Wasser
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Noch immer taufte und noch immer war
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Für jeden Druck ein unversöhnter Hasser,
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Da glaubten denn die Stützen für den Staat,
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Sie dürften mich, den Unentwegten, schrauben:
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„Wie, Freund, noch immer roter Demokrat?
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Auch heute noch? Das ist doch nicht zu glauben!“
 
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Ich werde immer für die Freiheit glühn,
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Ich werde immer für die Freiheit kämpfen,
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Und kindisch ist das ängstliche Bemühn,
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Den trotzigen Rebellensinn zu dämpfen;
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Und wenn den letzten Atemzug ich tat,
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Könnt ihr mein Leben in die Worte fassen:
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„Er war und blieb ein roter Demokrat,
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Und seine Fahne hat er nie verlassen!“
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Märzgedanken“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
290
Entstehungsjahr
nach 1860
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Märzgedanken“ wurde von Rudolf Lavant verfasst, der von 1844 bis 1915 lebte. Dies platziert das Gedicht in die Epoche des Fin de Siècle, einer Zeit der politischen und kulturellen Umbrüche, die sehr gut zum Inhalt dieses Gedichts passt.

Auf den ersten Blick handelt das Gedicht von Erfahrungen der Ausgrenzung und Vorurteilen gegenüber einer Person aufgrund der politischen Gesinnung ihres Vaters. Es wird das Bild eines Kindes gezeichnet, das von seinen Altersgenossen aufgrund der politischen Überzeugungen seines Vaters gemieden wird.

Das lyrische Ich beschreibt seine Kindheit als geprägt von Ausgrenzung und Einsamkeit, verursacht durch das Stigma, Kind eines „roten Demokraten“ zu sein. Diese Vorurteile und Stigmatisierungen setzen sich im Laufe seines Lebens fort und formen seine Wahrnehmung von sich selbst und seiner Identität stark. Trotz der konstanten Anfeindungen bleibt das lyrische Ich standhaft in seinem Glauben an die Freiheit und Demokratie, und so wird der einstige Vorwurf zur selbstgewählten Identität.

Das Gedicht ist in strenge Strophen und Verse gegliedert, mit einem regelmäßigen Rhythmus und Reimschema. Die Sprache des Gedichtes ist direkt und unprätentiös, aber sehr ausdrucksstark. Lavant benutzt einige stark emotionale Wörter und Phrasen („Haß und Hohn“, „roter Demokrat“, „Freiheit Tod- und Racheschrei“), um den gemobbten Zustand des lyrischen Ichs zu veranschaulichen und dessen Emotionen zu verdeutlichen.

Insgesamt bietet „Märzgedanken“ einen eindrucksvollen Einblick in persönliche Erfahrungen mit politischer Ausgrenzung und dem Kampferhalt der eigenen Überzeugungen, verpackt in einer straffen Form und präzisen Sprache.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Märzgedanken“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Rudolf Lavant. Geboren wurde Lavant im Jahr 1844 in Leipzig. Das Gedicht ist in der Zeit von 1860 bis 1915 entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus oder Avantgarde / Dadaismus zuordnen. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 290 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 40 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Rudolf Lavant sind „An das Jahr“, „An den Herrn Minister Herrfurth Exzellenz“ und „An den Kladderadatsch“. Zum Autor des Gedichtes „Märzgedanken“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 96 Gedichte vor.

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