Mächtiges Überraschen von Johann Wolfgang von Goethe

Ein Strom entrauscht umwölktem Felsensaale
Dem Ozean sich eilig zu verbinden;
Was auch sich spiegeln mag von Grund zu Gründen,
Es wandelt unaufhaltsam fort zu Tale.
 
Dämonisch aber stürzt mit einem Male –
Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden –
Sich Oreas, Behagen dort zu finden.
Und hemmt den Lauf, begrenzt die weite Schale.
 
Die Welle sprüht, und staut zurück und weichet,
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Und schwillt bergan, sich immer selbst zu trinken;
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Gehemmt ist nun zum Vater hin das Streben.
 
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Sie schwankt und ruht, zum See zurückgedeichet;
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Gestirne, spiegelnd sich, beschaun das Blinken
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Des Wellenschlags am Fels, ein neues Leben.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Mächtiges Überraschen“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
14
Anzahl Wörter
97
Entstehungsjahr
1807-1808
Epoche
Sturm & Drang,
Klassik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Mächtiges Überraschen“ wurde von Johann Wolfgang von Goethe verfasst, einem der bedeutendsten deutschen Dichter der literarischen Epoche der Klassik (ca. 1770-1830). Goethe lebte von 1749 bis 1832. Der erste Eindruck des Gedichts ist von der kraftvollen und dynamischen Darstellung der Natur geprägt, die sowohl ihren wilden, ungestümen Seiten als auch ihre ruhigeren, harmonischeren Aspekte zeigt.

In Goethes Gedicht beschreibt das lyrische Ich, wie ein Strom aus einem Felsensaal hervorspringt und sich schnell dem Ozean zuwendet, wobei alles, was sich spiegeln mag, sich unaufhaltsam talwärts bewegt. Plötzlich stürzt der Wind - in der griechischen Mythologie Oreas genannt - wild und chaotisch hinein und behindert den Fluss, begrenzt das weite Becken ('Schale'). Der Fluss schwankt und wird zu einem ruhigen See. Erst jetzt wird der Fluss ruhig, kann zurücktreten und sich selbst 'trinken'. Gestirne spiegeln sich darin und erzeugen ein glitzerndes Licht ('Blinken'), das als neues Leben dargestellt wird.

Die Aussage des lyrischen Ichs scheint eine Momentaufnahme der Naturgewalten und ihre Auswirkungen auf die Natur selbst zu sein. Das Gedicht könnte als Metapher für das menschliche Leben interpretiert werden, mit seinen Stürmen und ruhigeren Perioden, und wie diese aufeinander folgen und sich gegenseitig bedingen.

Das Gedicht folgt keinem klassischen Reimschema und besteht aus vier Strophen von jeweils vier, vier, drei und drei Versen. Es setzt sich aus Jamben zusammen, die vor allem im deutschen Barock und der Klassik sehr gebräuchlich waren. Es ist geprägt von einer lebhaften und bildreichen Sprache mit vielen detaillierten und sinnlichen Beschreibungen. Goethe nutzt Antithesen, wie „unaufhaltbar“ gegen „hemmt“, um die Dynamik und die Kraft des Geschehens zu unterstreichen. Darüber hinaus setzt er mit dem Begriff „Dämonisch“ und der Verwendung des antiken Windgottes „Oreas“ mythologische Elemente ein, was seinen bildungsorientierten Hintergrund widerspiegelt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Mächtiges Überraschen“ des Autors Johann Wolfgang von Goethe. Im Jahr 1749 wurde Goethe in Frankfurt am Main geboren. Im Jahr 1808 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Stuttgart und Tübingen. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Sturm & Drang oder Klassik zuordnen. Goethe ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Sturm und Drang (häufig auch Geniezeit oder Genieperiode genannt) ist eine literarische Epoche, welche zwischen 1765 und 1790 existierte und an die Empfindsamkeit anknüpfte. Später ging sie in die Klassik über. Die Epoche des Sturm und Drang war eine Protestbewegung, die aus der Aufklärung hervorging. Der Protest richtete sich gegen den Adel und dessen höfische Welt, sowie andere absolutistische Obrigkeiten. Er richtete sich aber auch gegen das Bürgertum, das als freudlos und eng galt, und dessen Moralvorstellungen veraltet waren. Als Letztes richtete sich der Protest des Sturm und Drang gegen Traditionen in der Literatur. Bei den Autoren handelte es sich meist um junge Schriftsteller. Meist waren die Vertreter unter 30 Jahre alt. Die Autoren versuchten in den Dichtungen eine geeignete Sprache zu finden, um die subjektiven Empfindungen des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen. Die traditionellen Werke vorangegangener Epochen wurden geschätzt und dienten als Inspiration. Aber dennoch wurde eine eigene Jugendkultur und Jugendsprache mit kraftvollen Ausdrücken, Ausrufen, Wiederholungen und Halbsätzen geschaffen. Mit der Hinwendung Goethes und Schillers zur Weimarer Klassik endete der Sturm und Drang.

Richtungsweisend für die Literatur der Weimarer Klassik war die Französische Revolution. Menschen setzten sich dafür ein, dass für alle die gleichen Rechte gelten sollten. Der Beginn der Weimarer Klassik ist im Jahr 1786 auszumachen. Die Literaturepoche endete im Jahr 1832 mit dem Tod Goethes. Das Zentrum dieser Literaturepoche lag in Weimar. Es sind sowohl die Bezeichnungen Klassik als auch Weimarer Klassik gebräuchlich. Toleranz, Menschlichkeit und Übereinstimmung von Natur und Mensch, von Individuum und Gesellschaft sind die Ideale der Klassik. Im Zentrum des klassischen Kunstkonzepts steht das Streben nach harmonischem Ausgleich der Gegensätze. In der Gestaltung wurde das Gültige, Gesetzmäßige, Wesentliche sowie der Ausgleich und die Harmonie gesucht. Im Gegensatz zum Sturm und Drang, wo die Sprache häufig roh und derb ist, bleibt die Sprache in der Klassik den sich selbst gesetzten Regeln treu. Die bekanntesten Schriftsteller der Klassik sind Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Andere bekannte Schriftsteller der Klassik sind Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder. Die beiden zuletzt genannten arbeiteten jeweils für sich. Einen konstruktiven Austausch im Sinne eines gemeinsamen Arbeitsverhältnisses gab es nur zwischen Schiller und Goethe.

Das 97 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 14 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Weitere Werke des Dichters Johann Wolfgang von Goethe sind „An Annetten“, „An Belinden“ und „An Lida“. Zum Autor des Gedichtes „Mächtiges Überraschen“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 1618 Gedichte vor.

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