Mundartliches Gedicht von Kurt Tucholsky

Denn, so um’m September rum,
denn kriejn se wacklije Beene –
die Fliejen nämlich. Denn rummeln se so
un machen sich janz kleene.
Nee –
fliejn wolln se nich mehr.
 
Wenn se schon so ankomm, ’n bisken benaut …
denn krabbeln se so anne Scheihm,
oda se summ noch ’n bisken laut,
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aber merschtens lassn ses bleihm …
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Nee –
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fliejn wolln se nich mehr.
 
13 
Wenn se denn kriechen, falln se beinah um.
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Un denn wern se nochmal heita,
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denn rappeln se sich ooch nochmal hoch,
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un denn jehts noch ’n Sticksken weita –
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Aba fliejn …
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fliejn wolln se nich mehr.
 
19 
Die andan von Somma sind nu ooch nich mehr da.
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Na, nu wissen se – nu is zu Ende.
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Manche, mit so jelbe Eia an Bauch,
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die brumm een so über de Hände …
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fliejn wolln se nich mehr.
24 
A richtich
 
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Na, und denn finnste se morjens frieh,
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da liejen se denn so hinta
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de Fenstern rum. Denn sind se dot.
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Und wir jehn denn ooch in’n Winta.
29 
Wie alt bis du eijentlich?
 
30 
– „Ick? Achtunnfürzich.“
31 
– „Kommst heut ahmt mit, nach unsan Lokal –?“
 
32 
– „Allemal.“
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.1 KB)

Details zum Gedicht „Mundartliches Gedicht“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
178
Entstehungsjahr
1928
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht mit dem Titel „Mundartliches Gedicht“ stammt vom deutschen Schriftsteller und Journalisten Kurt Tucholsky. Tucholsky, der von 1890 bis 1935 lebte, gilt als einer der bedeutendsten Publizisten und Satiriker der Weimarer Republik, wobei dieses Gedicht wahrscheinlich in den 1920er oder 1930er Jahren entstanden ist.

Beim ersten Lesen fällt der berlinerische Dialekt auf, in dem das Gedicht verfasst ist. Es handelt sich also um ein Gedicht, das explizit in der Sprache und Mundart der Hauptstadt geschrieben wurde und somit als authentische Darstellung des damaligen Alltagslebens gesehen werden kann.

Das Gedicht handelt auf einer oberflächlichen Ebene von Fliegen, die sich mit dem Herannahen des Herbstes verändern – sie werden schwach, können nicht mehr fliegen und sterben schließlich. Der Inhalt kann jedoch auch metaphorisch gesehen werden: Die Fliegen repräsentieren hier das Älterwerden und den Tod, ein unausweichlicher Zyklus des Lebens. Es wird die Abkehr von jugendlicher Vitalität und Lebhaftigkeit hin zu zunehmender Gebrechlichkeit und dem Ende des Lebens dargestellt. Der Dialog am Ende spielt auf das hohe Alter eines der Charaktere an und schließt mit der Einladung zu gemeinsamer Geselligkeit trotz der unausweichlichen Sterblichkeit.

Formal besteht das Gedicht aus sieben Strophen mit unterschiedlicher Versanzahl. Der wiederkehrende Satz „fliejn wolln se nich mehr“ fungiert hierbei als Leitmotiv und symbolisiert den Stillstand und das Ende.

Die Sprache des Gedichts ist stark vom berlinerischen Dialekt geprägt, was das Gedicht volkstümlich und bodenständig wirken lässt. Gleichzeitig erzeugt dieser Dialekt auch eine gewisse Wehmut und Melancholie, da er das Vergehen der Zeit betont. Zudem schafft der Dialekt eine spezielle Intimität und macht das Gedicht so zu einem ehrlichen und authentischen Einblick in das Leben und Sterben aus der Perspektive der einfachen Leute. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Mundartliches Gedicht“ von Kurt Tucholsky eine poetische Reflexion über das Älterwerden und den Lauf des Lebens darstellt, eindrücklich eingefangen in der unverkennbaren Sprache des Berliner Milieus.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Mundartliches Gedicht“ des Autors Kurt Tucholsky. Im Jahr 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. Im Jahr 1928 ist das Gedicht entstanden. Berlin ist der Erscheinungsort des Textes. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Bei Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Die wichtigsten geschichtlichen Einflüsse auf die Literatur der Weimarer Republik waren der Erste Weltkrieg, der von 1914 bis 1918 andauerte, und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Weimarer Republik. Bei der Neuen Sachlichkeit war der Inhalt der Texte wichtiger als die Form. Die Schreiber dieser Bewegung wollten mit ihren Texten möglichst viele Menschen aus allen sozialen Schichten ansprechen. Aus diesem Grund wurden die Texte in einer alltäglichen Sprache verfasst und wurden oft im Stile einer dokumentarisch-exakten Reportage geschrieben. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das im Jahr 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht in der Fremde suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk im Heimatland bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist religiöse oder politische Gründe den Ausschlag. Die deutsche Exilliteratur entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten insbesondere die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten Deutschlands in den Jahren 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Themen der deutschen Exilliteratur lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Autoren fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oftmals konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Arbeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die Themen in ihren Werken. Andere Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte einerseits die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Andererseits aber auch den Widerstand unterstützen. Spezielle formale Merkmale weist die Exilliteratur nicht auf. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Epoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Flugblätter und Radioreden der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das 178 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 32 Versen mit insgesamt 7 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Kurt Tucholsky sind „An Peter Panter“, „An das Publikum“ und „An die Meinige“. Zum Autor des Gedichtes „Mundartliches Gedicht“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

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