Mithra von Marie Eugenie Delle Grazie
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Sie sagen: |
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Mystischen Kult hab' einst |
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Die Höhle belauscht, und Blut |
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Sei hier geflossen in dampfenden Strömen, purpurn, |
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Wie die Morgenwolken, darauf |
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Der Gott thront, dem die Opfer verröchelt .... Nacht war's, |
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Als ich herniederstieg, lautlos, ungeseh'n, |
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Und im Takt der Wogen pocht' es in meinen Schläfen; |
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An's moos'ge Gestein |
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Lehnt' ich das Haupt und vergrub |
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Die zuckenden Hände in's Farrenkraut, und aufstieg |
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Ein feucht-schwüler Duft daraus wie ein brünstiger Odem. |
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Ich wollt' ein Geheimnis belauschen, wollt' |
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Die Macht empfinden, die hier |
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Die Menschen gebändigt, daß sie |
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Ihr Blut hingaben für leuchtende Morgenwolken |
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Und Leben für Licht .... Noch stand |
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Die Nacht vor mir, die Königin: |
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In die Himmel ragte ihr Antlitz |
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Und über den Bergen hing |
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Ihr violenfarbiger Sammetmantel — unter |
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Den weichen Tritten kräuselte sich die Fluth. |
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Und still war's. |
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Wie in Todesstarre lag |
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Das Leben im Bann des Schlummers, regungslos. |
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Schwarz drohten die Küstenberge |
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Zu mir herüber, schwarz floß |
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Mit der Finsternis das Meer zusammen – und |
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Sie dehnte sich aus und wuchs in meine Seele |
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hinein — öd, trostlos .... und mir fuhr |
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Ein Grausen durchs Herz: wenn sie |
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Nun ewig währte? Wenn dumpf |
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Und bleischwer ihre Last |
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Das Leben erdrückte? Ihr Schooß |
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Die Farben verschlänge und |
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In lichtloser Ferne der Klang erstürbe? – Hinwelkten |
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Zuerst die Blumen wie Kinder; dann sänk' |
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Aus brütender Höhe Vogel um Vogel, mit |
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Gebroch'nem Aug' und zuckendem Fittich – aufraste |
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Dann endlich der Mensch und Blindheit quöll' |
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Durchs Aug' ihm in die Seele |
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Und Verzweiflung erfaßte ihn! |
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Hinwürgten |
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Die Muthigsten sich selbst; |
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Den Andern aber bräche |
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Das Grau'n die Stimmen und |
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Sie stierten zitternden Leib's |
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In die Nacht hinaus und lauschten |
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Dem Angstgeheule der Bestien, davor |
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Sie einst erbebt, und bangten nun, daß es |
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Verstummen könne und mit der Finsternis |
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Die Einsamkeit sie verschlänge .... |
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Dann schleichen sie |
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Zum Meer hinab und spähen, |
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Ob seinem stummen Gethier |
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Die Angst nicht Sprache verlieh'n: |
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Hinzieht |
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Die Fluth, doch die Wellen klingen nicht |
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Und stumm bleibt die Tiefe! Da reißt sie |
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Der Wahnwitz hinab — und hinstürbe |
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Mit ihnen ihr Größenwahn, |
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Hinstürben |
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Ihre Lügen, ihre Schuld, |
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Ihre Götter, ihre Götzen, |
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Und der Schrei des letzten kläng' |
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Wie ein Hohngelächter des Weltraum's .... |
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Da streifte |
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Ein herb-kühler Hauch meine Stirn, |
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Aufschauerte es |
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Um mich, ein schimmernder Streifen stand im Osten: |
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Der junge Tag! Fortscheuchte er |
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Die Dämm'rung, daß ihre grauen Schleier flogen, |
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Und Grenzen gab er |
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Den Dingen und Farben, und aufriß |
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Er plötzlich die Wolken und der Himmel flammte, |
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Entgegenbäumte sich |
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Wie eine Geliebte das Meer dem nahenden Gott! |
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Dort stieg |
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Er auf in furchtbarer Majestät, |
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Und vor ihm her |
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Gingen Urwelt-Schauer, und |
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Er hüllte sich in die Farbe des Blut's wie Moloch! |
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Und begehrte er Blut – was gält' |
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Ein Leben, an seinem Altare hingeschlachtet, |
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Ein Lügner, verröchelnd vor seinem Thron? |
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Hat er |
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Die Millionen nicht |
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Geschaffen, die Tag für Tag |
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Entgegen ihm jauchzen? Kann er |
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Nicht Milliarden noch schaffen? Beschlossen ruht |
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In seinem Flammenschooß |
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Das Geheimnis uns'res Ursprungs, unseres Endes, |
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Und heischte |
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Er heut' ein Opfer für seine Wiederkehr, |
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Könnt' Menschenblut sein Schöpferdasein verew'gen – |
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Es zitterte der Stahl in jeder Hand .... |
Details zum Gedicht „Mithra“
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1892
Realismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Mithra“ wurde von Marie Eugenie Delle Grazie verfasst. Sie lebte von 1864 bis 1931, so dass wir das Gedicht in das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert einordnen können, eine Zeit, die geprägt war von umfangreichen politischen und sozialen Veränderungen.
Bei der ersten Lektüre des Gedichtes fällt der mystische Ton auf. Der Titel „Mithra“ bezieht sich auf den persischen Gott Mithra, dessen Kult in der Antike weit verbreitet war und von ritualisierten Tieropfern begleitet wurde.
Inhaltlich scheint das lyrische Ich eine spirituelle Erfahrung zu machen. Es befindet sich in einer Höhle und reflektiert über ein vergangenes Ritual, das an dieser Stelle stattgefunden hat, und trägt eine gewisse Faszination für diese Praktik in sich. Es stellt sich eine apokalyptische Situation vor, in der die Welt in ewiger Finsternis und Verzweiflung versinkt. Doch dann kommt der Morgen und mit ihm ein neuer Tag, der als eine Art Erlösung oder Neuanfang angesehen wird. Im letzten Teil reflektiert das lyrische Ich über das Verhältnis zwischen Mensch und Gott, Gedanken über Opfer und Wiedergeburt werden hervorgehoben.
Die Sprache des Gedichts ist sehr bildreich und metaphorisch, mit vielen Naturbildern und intensiven Farben wie Purpur, Schwarz und Blutrot. Die Form ist in vier lose verbundenen Strophen organisiert, wobei sich der Ton und Fokus von Strophe zu Strophe ändert.
Die Mellancholie und das Grauen, das vom lyrischen Ich reflektiert wird, könnte als Ausdruck von Sorgen und Ängsten vor den radikalen Veränderungen in der Welt um 1900 interpretiert werden. Insgesamt schildert das Gedicht eine intensive innere Reise und konfrontiert den Leser mit tiefgründigen existenziellen Fragen.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Mithra“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Marie Eugenie Delle Grazie. Delle Grazie wurde im Jahr 1864 in Weißkirchen (Bela Crkva) geboren. 1892 ist das Gedicht entstanden. In Leipzig ist der Text erschienen. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Realismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin vorgenommen werden. Die Schriftstellerin Delle Grazie ist eine typische Vertreterin der genannten Epoche. Das 498 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 96 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Die Gedichte „Abendsonnenschein“, „Abschied“ und „Addio“ sind weitere Werke der Autorin Marie Eugenie Delle Grazie. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Mithra“ weitere 71 Gedichte vor.
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Zum Autor Marie Eugenie Delle Grazie sind auf abi-pur.de 71 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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