Mit einem blauen Auge von Kurt Tucholsky

Die alten Kegelbrüder seh ich wieder.
Sie überlebten selbst des Krieges Lauf.
Sie schicken revolutionäre Lieder
gleich Taubenschwärmen in das Blau hinauf.
Und locken sie zurück:
nun hängt ein Wenn und Aber im Gefieder
– ein Glück! Ein Glück!
 
Das Land im Elend. Wer ist schuld am Ganzen?
am Krieg, und daß man ihn so schwer verlor?
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Man sieht die Wackern zierlich eiertanzen.
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Sie schreiten voller Schwung drei Schritte vor
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und drei zurück.
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Man braucht ja doch die blanken Söldnerlanzen
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– welch Glück! Welch Glück!
 
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Der Domestik liebt seine Offiziere.
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Der gute, brave, liebe Ludendorff!
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Das wütete vier Jahre wie die Stiere.
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Reißt einer auf den alten Wundenschorf?
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Sanft holt man ihn zurück –
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und bleibt hübsch maßvoll bei dem Stammtischbiere
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– sein Glück! Sein Glück!
 
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Du bunte Bestie mit den tausend Armen!
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Wär dieses Volk politisch stark und reif:
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es riß die Fenster auf im stubenwarmen
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Gemach – Luft! Luft! und Frühjahrsreif!
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Du kehrtest nie zurück.
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Und keiner hätte mit dir Vieh Erbarmen
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– dein Glück! Dein Glück!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26 KB)

Details zum Gedicht „Mit einem blauen Auge“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
28
Anzahl Wörter
163
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht stammt von Kurt Tucholsky, einem deutschen Journalisten und Schriftsteller, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebte und arbeitete. Tucholskys Schreibstil war bekanntermaßen scharf und satirisch, und seine Werke oft politisch geladen. Er nutzte seine Literatur, um die gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit zu kommentieren und zu kritisieren.

Auf den ersten Blick scheint das Gedicht „Mit einem blauen Auge“ eine beißende Satire auf das Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg zu sein. Der Titel wirkt provokativ, da „mit einem blauen Auge davonkommen“ umgangssprachlich bedeutet, dass man aus einer schwierigen Situation entkommen ist, obwohl man eigentlich hätte bestraft oder stärker geschädigt werden sollen.

Die vier Strophen des Gedichts beschreiben unterschiedliche Aspekte der deutschen Gesellschaft und Politik in den Jahren nach dem Krieg. In der ersten Strophe sind die „alten Kegelbrüder“ möglicherweise eine Anspielung auf die ehemaligen Machthaber, die trotz Krieg und Revolution unbeschadet geblieben sind.

In der zweiten Strophe geht es um die Frage der Kriegsschuld und um die Unfähigkeit oder den Unwillen, Konsequenzen zu ziehen und Verantwortung zu übernehmen. In der dritten Strophe wird der blinde Gehorsam und die Unterwerfung unter die Autorität kritisiert, symbolisiert durch die Figur des Ludendorff, eines hochrangigen deutschen Militärs im Ersten Weltkrieg.

Die letzte Strophe weist auf den Wunsch nach politischer Reife und Unabhängigkeit hin - einen starken Appell an das Volk, aufzuwachen und sich von der passiven Haltung zu befreien.

Insgesamt wird das Gedicht durch einen konsequenten Wechsel von Kritik und Sarkasmus in Form der wiederkehrenden Phrase „welch Glück!“ zusammengehalten. Diese Ironie unterstreicht die Botschaft des lyrischen Ichs, dass nichts Gutes in dieser Situation ist und dass sich grundlegende Veränderungen notwendig sind.

Formal besteht das Gedicht aus vier siebenzeiligen Strophen, die jeweils mit dem sarkastischen Ausruf „welch Glück“ enden. Die Sprache ist klar und einfach, aber mit viel symbolischer Bedeutung. Der Versmaß ist regelmäßig und die Reime sind auffällig, um den satirischen Ton des Gedichts zu unterstützen. Insgesamt ist „Mit einem blauen Auge“ ein politischer Kommentar, der die gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit anprangert und zur Veränderung aufruft.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Mit einem blauen Auge“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Kurt Tucholsky. Der Autor Kurt Tucholsky wurde 1890 in Berlin geboren. 1919 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Charlottenburg. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Die wichtigsten geschichtlichen Einflüsse auf die Literatur der Weimarer Republik waren der Erste Weltkrieg, der von 1914 bis 1918 andauerte, und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Weimarer Republik. Das bedeutendste Merkmal der Literatur in der Weimarer Republik ist die Neue Sachlichkeit, die so heißt, da sie schlicht, klar, sachlich und hoch politisch ist. Die Literatur dieser Zeit war nüchtern und realistisch. Ebenso stellt sie die moderne Gesellschaft kühl distanziert, beobachtend, dokumentarisch und exakt dar. Die Schriftsteller der Literaturepoche wollten so viele Menschen wie möglich mit ihren Texten erreichen, deshalb wurde eine einfache und nüchterne Alltagssprache verwendet. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die zum Beispiel in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz setze den Schriftstellern dieser Zeit noch mal verstärkt Grenzen. 1931 trat die Pressenotverordnung in Kraft, dadurch waren die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate hinweg möglich geworden.

Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Autoren, die ins Exil fliehen, also ihr Heimatland verlassen mussten. Dies geschah insbesondere zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die Exilliteratur geht aus diesem Umstand hervor. Der Ausgangspunkt der Exilbewegung Deutschlands war der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Exilliteratur lässt sich insbesondere an den typischen Themenschwerpunkten wie Sehnsucht nach der Heimat, Widerstand gegen Nazi-Deutschland oder Aufklärung über den Nationalsozialismus ausmachen. Bestimmte formale Gestaltungsmittel wie zum Beispiel Metrum, Reimschema oder der Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel lassen sich in der Exilliteratur nicht finden. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Expressionismus, Realismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte Gesellschaftsentwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das 163 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 28 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Der Dichter Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „An Peter Panter“, „An das Publikum“ und „An die Meinige“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Mit einem blauen Auge“ weitere 136 Gedichte vor.

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