Menschlichkeit von Frank Wedekind

1	Der Mensch ist nackt geschaffen, ist nackt;
2	Daraus erklärt sich seine Vertracktheit.
3	Wird er vom Wind bei der Wolle gepackt,
4	Dann schämt er sich seiner kläglichen Nacktheit.
5	Dort, wo es dem rohen Pöbel graut,
6	Sind der Seele zarteste Saiten zu finden;
7	Hat Einer gar eine durchschimmernde Haut,
8	Du sollst ihn nicht züchtigen, sondern ergründen.
9	Ist Einer über und über behaart,
10	Dann magst du ihn nach Gefallen bewitzeln.
11	Kitzliche zu kitzeln ist Knabenart;
12	Ein Mann liebt vielmehr den Kitzelnden zu kitzeln.

Details zum Gedicht „Menschlichkeit“

Gedicht-Analyse

Der Autor dieses Gedichts ist Frank Wedekind, ein deutscher Schriftsteller und Schauspieler, der von 1864 bis 1918 lebte. Wedekind war eine Schlüsselfigur der literarischen Moderne und ist vor allem für seine scharfe soziale Kritik und seinen mutigen Umgang mit Tabuthemen bekannt.

Wie andere Gedichte von Wedekind vermittelt auch dieses Werk auf den ersten Eindruck eine leicht spöttische, provokative Stimmung. Der Titel „Menschlichkeit“ deutet darauf hin, dass das lyrische Ich die Natur und das Verhalten des Menschen zum Thema hat.

Im ersten Teil beobachtet das lyrische Ich, dass Menschen nackt geboren werden („Der Mensch ist nackt geschaffen, ist nackt“) und schließen daraus, dass dies der Grund für die Verwirrung des Menschen ist („Daraus erklärt sich seine Vertracktheit“). Es bemerkt dann, dass die Menschlichkeit von Scham geprägt ist, wenn die Nacktheit offenbar wird („Wird er vom Wind bei der Wolle gepackt, / Dann schämt er sich seiner kläglichen Nacktheit“).

Im zweiten Teil untersucht das lyrische Ich die Komplexität der menschlichen Natur, der Ort, an dem man Ehrfurcht empfindet („Dort, wo es dem rohen Pöbel graut“) und wo die empfindlichsten Teile der menschlichen Seele verborgen sind („Sind der Seele zarteste Saiten zu finden“). Das lyrische Ich rät dazu, das Individuum zu verstehen statt zu richten („Du sollst ihn nicht züchtigen, sondern ergründen“).

Im dritten und letzten Teil philosophiert das lyrische Ich über das Verhalten von behaarten Menschen („Ist Einer über und über behaart“) und die Kindlichkeit, die durch das Kitzeln zum Ausdruck kommt („Kitzliche zu kitzeln ist Knabenart“). Es schließt mit der Einsicht, dass ein Mann es bevorzugt, zu kitzeln, anstatt gekitzelt zu werden („Ein Mann liebt vielmehr den Kitzelnden zu kitzeln“).

Das Gedicht hat eine einfache, gleichmäßige Form und die Sprache ist unkompliziert und direkt. Wedekind erzeugt in seinen Versen ein stilles, aber starkes Statement über die menschliche Natur und verwendet Worte und Konzepte, die auf das körperliche Dasein des Menschen verweisen, um tiefe Einsichten in unsere psychologischen Eigenheiten und sozialen Dynamiken zu bieten. Geprägt von Wedekinds typischem Spott und seiner Fähigkeit, Komplexität in einfachen Worten auszudrücken, schildert das Gedicht humorvoll und scharfsinnig die Widersprüche der menschlichen Natur.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Menschlichkeit“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Frank Wedekind. Der Autor Frank Wedekind wurde 1864 in Hannover geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1905. Erschienen ist der Text in München. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Bei dem Schriftsteller Wedekind handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 80 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 12 Versen mit insgesamt 3 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Frank Wedekind sind „Albumblatt“, „Allbesiegerin Liebe“ und „Alte Liebe“. Zum Autor des Gedichtes „Menschlichkeit“ haben wir auf abi-pur.de weitere 114 Gedichte veröffentlicht.

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