Menschen bei Nacht von Rainer Maria Rilke

Die Nächte sind nicht für die Menge gemacht.
Von deinem Nachbar trennt dich die Nacht
und du sollst ihn nicht suchen trotzdem.
Und machst du nachts deine Stube licht,
um Menschen zu schauen ins Angesicht,
so mußt du bedenken: wem.
 
Die Menschen sind furchtbar vom Licht entstellt,
das von ihren Gesichtern träuft,
und haben sie nachts sich zusammengesellt,
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so schaust du eine wankende Welt
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durcheinandergehäuft.
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Auf ihren Stirnen hat gelber Schein
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alle Gedanken verdrängt,
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in ihren Blicken flackert der Wein,
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an ihren Händen hängt
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die schwere Gebärde, mit der sie sich
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bei ihren Gesprächen verstehn;
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und dabei sagen sie: Ich und Ich
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und meinen: Irgendwen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.4 KB)

Details zum Gedicht „Menschen bei Nacht“

Anzahl Strophen
2
Anzahl Verse
19
Anzahl Wörter
105
Entstehungsjahr
1906
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Menschen bei Nacht“ stammt von Rainer Maria Rilke, einem der bedeutendsten Lyriker des frühen 20. Jahrhunderts. Er verfasste dieses Gedicht wahrscheinlich zwischen der Jahrhundertwende und seinem Tod 1926. Auf den ersten Blick erweckt das Gedicht einen düsteren und kritischen Eindruck der menschlichen Natur und unserer Beziehungen zueinander in der Dunkelheit.

Inhaltlich spricht das lyrische Ich eine deutliche Distanz zwischen den Menschen in der Nacht an. Es wird darauf hingewiesen, dass die Nacht nicht als ein sozialer Ort für die „Menge“ gedacht ist und dass eine räumliche und auch emotionale Trennung zwischen Individuen besteht. In der zweiten Strophe wird das kritische Bild von Menschen in der Nacht intensiviert: Sie wirken entstellt durch das Licht, ihre Gesichter sind vom Schein verzerrt, in ihren Augen spiegelt sich der Einfluss von Alkohol und ihre Gespräche wirken leer und bedeutungslos. Es scheint, als ob in der Nacht die Verbindung zu uns selbst und zu anderen auf eine oberflächliche und verzerrte Weise verloren geht.

Formal besteht das Gedicht aus zwei Strophen, wobei die erste Strophe kürzer ist als die zweite. Diese Asymmetrie könnte ein Spiegelbild der Unstimmigkeit sein, die das lyrische Ich in der nächtlichen Begegnung der Menschen wahrnimmt. Rilkes Sprache ist einfach und direkt, geprägt von drastischen Bildern, die die Dunkelheit und die Verzerrungen hervorheben, die das Licht auf die menschlichen Gesichter wirft.

Rilke schafft es, ein starkes Bild von den Zwängen der Nacht und ihrer Auswirkungen auf die menschliche Interaktion zu skizzieren. Das „Ich und Ich“ gegen Ende des Gedichts unterstreicht das Gefühl der Isolation und des fehlenden Verständnisses, das die Menschen in der Nacht empfinden. Es ist eine Kritik an der Unfähigkeit der Menschen, sich authentisch auszudrücken und einer wahren Verbindung mit anderen.

Weitere Informationen

Rainer Maria Rilke ist der Autor des Gedichtes „Menschen bei Nacht“. Geboren wurde Rilke im Jahr 1875 in Prag. 1906 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Berlin / Leipzig, Stuttgart. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Moderne zu. Bei Rilke handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 105 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 19 Versen mit insgesamt 2 Strophen. Die Gedichte „Abend“, „Abend“ und „Abend in Skaane“ sind weitere Werke des Autors Rainer Maria Rilke. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Menschen bei Nacht“ weitere 338 Gedichte vor.

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