Memoiren von Karl Kraus
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Bang war das Herz. Mit ahnendem Gemüthe |
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sah ich ins Land, als mir der Frühling blühte. |
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Vor jedem Schritte stand als Schicksalswende, |
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ob morgen in der Schule ich bestände. |
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Soweit die Rätsel von zehn Jahren reichen, |
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ward alles da von allem mir zum Zeichen. |
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Als sie zum erstenmal die Liebe nannten, |
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löst’ ich die Gleichung mit der Unbekannten. |
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Erfüllt von Lust war’s, auf die Lust zu warten. |
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Durch alle Gitter sah ich in den Garten. |
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Von allen Seiten sah ich in die Stunde: |
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um ein Geheimnis ging ihr Gang die Runde. |
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Nachts sitzt ein Ding, das fiebrig mich befühlt, |
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auf meiner Brust, die sich ins Chaos wühlt. |
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Was ist es nur, das so mit Zentnerlast |
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mir alle Sinne gleich zusammenfaßt, |
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daß ein Geräusch mir ein Gesicht erschließt, |
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Geschmack und Tastsinn mir zusammenfließt? |
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Das war die Botschaft aus dem neuen Land; |
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der Teufel war vom Leben vorgesandt. |
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Will heute ich, daß ich ein Kind noch sei, |
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schnell, eh’ ich einschlaf’, ruf’ ich ihn herbei. |
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Doch aller Ängste heiliges Wunder du — |
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ich schloß die Hölle mir von innen zu. |
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Ich schmeckte aller Zweifel Süßigkeit, |
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ich schuf die Hemmung, wenn das Ziel noch weit. |
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Daß ich zu ihm mein Leblang nicht gelange, |
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lud zum Verweilen eine Kletterstange. |
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Schon vor dem Kuß der Seligkeit entbunden, |
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hab’ nie zur kahlen Endlichkeit gefunden. |
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Zu eurem Schein, der nur was ist begreift, |
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ist nie mein Glück der Scheinbarkeit gereift. |
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Ihr habt nur, was ihr habt, kurz ist die Weile, |
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dieweil ich mir die Ewigkeit verteile. |
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Ihr zehrt von des Geschlechtes Proviant. |
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Verflucht zum Mannsein, seid ihr gleich entmannt. |
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Verwesung weist mir eures Samens Spur, |
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verbraucht im Kreuzzug gegen die Natur. |
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Entweibtes, das im Schlaf ich schauen mußt’, |
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ein Zug von Leichen folgte eurer Lust. |
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Jetzt tönt die Glocke zu dem Hochgericht, |
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jetzt blitzt ein Blitz aus tragischem Gesicht. |
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Im Wolterton unendlich ruft von hinnen |
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die Klage Shakespearischer Königinnen. |
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Nicht länger zögernd, Zeuge muß ich sein! |
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Laßt mich durch dieses Tor zum Richter ein, |
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daß ich für Gottes Absicht mich verbürge |
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und endlich doch einmal den Teufel würge! |
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Viel totes Leben drängt sich an der Pforte, |
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hier wimmern Weiber und hier weinen Worte. |
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Wer wehrt mir? Weh, wer stellt mir Hindernisse, |
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Natur zu heilen von dem blutigen Risse? |
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Da hat es mich und sitzt mir auf der Brust! |
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Und macht der armen Kindheit mich bewußt, |
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im Lohn der Last und in dem Leid der Lust. |
Details zum Gedicht „Memoiren“
Karl Kraus
27
55
398
1920
Moderne,
Expressionismus,
Avantgarde / Dadaismus
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht „Memoiren“ stammt von dem österreichischen Schriftsteller Karl Kraus, der von 1874 bis 1936 lebte. Damit kann das Gedicht zeitlich der Moderne zugeordnet werden.
Das lyrische Ich erzählt in dem Gedicht aus seiner Vergangenheit und erinnert sich an die verschiedenen Stadien und Emotionen seines Lebens. Dabei spürt man die Angst, Trauer, Unsicherheit, aber auch Neugier und Hoffnung. Der erste Eindruck des Gedichts ist daher emotional und introspektiv.
Der Inhalt des Gedichts ist eine Abfolge von Erinnerungen und Reflexionen des lyrischen Ichs. Zunächst erinnert es sich an die Ängste und Unsicherheiten seiner Schulzeit, gefolgt von der Entdeckung der Liebe, das Erwachen seiner Sinnlichkeit und seinem Heranwachsen zum Erwachsenen. Es reflektiert die Erfahrungen und Erkenntnisse, die es im Lauf seines Lebens gewonnen hat, und sieht sich schließlich als Zeuge und Richter über seine eigene Existenz und das Leben im Allgemeinen.
Von der Form her besteht das Gedicht aus 27 Strophen mit meist zwei Versen pro Strophe. Die Sprache ist emotional, metaphorisch und zum Teil symbolisch, mit Anspielungen auf religiöse Motive und Literatur. Typisch für Kraus sind der pessimistische Ton und die provokativen Aussagen, die den Leser zum Nachdenken anregen.
Insgesamt beschreibt das lyrische Ich in dem Gedicht seinen Lebensweg, seine persönliche Transformation und seine Erkenntnisse über das Leben. Es geht dabei um Themen wie Angst, Liebe, Sexualität, Identität, Tod, Schuld und Hoffnung. Das Gedicht „Memoiren“ kann daher als Ausdruck des individuellen und gedanklichen Prozesses des lyrischen Ichs verstanden werden.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Memoiren“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Karl Kraus. Der Autor Karl Kraus wurde 1874 in Jičín (WP), Böhmen geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1920. Der Erscheinungsort ist München. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 398 Wörter. Es baut sich aus 27 Strophen auf und besteht aus 55 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Karl Kraus sind „An einen alten Lehrer“, „Auferstehung“ und „Aus jungen Tagen“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Memoiren“ weitere 61 Gedichte vor.
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Zum Autor Karl Kraus sind auf abi-pur.de 61 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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