Meine Flieger – deine Flieger von Kurt Tucholsky

Unsere Flieger haben über den Ozean gemacht –
deutsche Energie! deutsche Energie!
Unsere Flieger hatten eine Schreckensnacht –
so was war noch nie!
Hier ihre Biographie!
Kikeriki –!
Und wir brüllen, daß es durch die Straßen gellt:
„Unsere Flieger sind die ersten auf der Welt!“
Eure Flieger sind ganz nette Leute –
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aber kleingedruckt, auf der zweuten Seute.
 
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Unsere Flieger sind der Stolz des Landes!
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Vive la France! Quelle rumeur!
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Unsere Flieger sind der Gipfel ihres Standes –
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Réception et la Légion d'Honneur!
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Und dahinter stehn die Industrien,
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und sie grinsen in Paris wie in Berlin…
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Eure Flieger sind ja schließlich nur
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eine kleine zweite Garnitur.
 
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Unsere Flieger fliegen heut nach Mexiko!
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Gods own country – our America!
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Unsere Flieger halten das Niveau –
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For the colonel:
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Hip, Hip, Hurra!
 
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Jede Zeitung hat uns das gesagt:
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Hat da einer einen Flug gewagt,
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wächst empor zum höchsten Firmament
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noch der allerdümmste Abonnent.
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– „Weil du, Landsmann, doch aus gleichem Holz bist,
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bin auch ich ein Held, der johlend tanzt!“
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Sage mir, worauf du stolz bist,
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und ich sage dir, was du mir kannst.
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Unsere Flieger! Unsere Flieger!
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Die sind Sieger! die sind Sieger!
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Eure Flieger, gar nicht zu vergleichen,
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können unsern nicht das Wasser reichen.
 
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Will der Stammtisch aller Welt nicht ohne Luft sein –:
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braucht er
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Kino, Kirche und das Nationalbewußtsein.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.7 KB)

Details zum Gedicht „Meine Flieger – deine Flieger“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
38
Anzahl Wörter
212
Entstehungsjahr
1929
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht stammt von Kurt Tucholsky, einem deutschen Schriftsteller und Journalisten, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem während der Weimarer Republik, aktiv war. Tucholsky ist bekannt für seine scharfe soziale und politische Kritik. Er starb 1935, daher kann man das Gedicht vermutlich in den 1920er oder frühen 1930er Jahren einordnen.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht humorvoll und ironisch. Es scheint, als würde Tucholsky die überschwängliche Begeisterung und den Nationalstolz seiner Landsleute verspotten, insbesondere im Zusammenhang mit der damals noch relativ neuen Fliegerei.

Im Detail geht es im Gedicht um die Glorifizierung der „eigenen“ Flieger und die Geringschätzung der „anderen“ Flieger. Tucholsky spielt mit der nationalistischen Rhetorik seiner Zeit, er imitiert und übertreibt die Sprache, um ihre Absurdität zu verdeutlichen. Er kritisiert damit den übersteigerten Nationalstolz und die Tendenz, Leistungen nur aufgrund ihrer nationalen Zugehörigkeit zu bewerten.

Formal folgt das Gedicht keiner festen Struktur oder einem klassischen Reimschema, was typisch für viele Arbeiten Tucholskys ist. Stattdessen verwendet er eine Art freien Vers, der dem gesprochenen Wort nahekommt und oft umgangssprachliche oder jargonähnliche Ausdrücke enthält. Das Gedicht ist reich an Wiederholungen und Klangspielen, was es trotz seiner ernsten Botschaft unterhaltsam und einprägsam macht.

Sprachlich ist das Gedicht von der Verwendung von Mehrsprachigkeit geprägt. Tucholsky verwendet deutsche, französische und englische Redewendungen und Phrasen, um seine Kritik an dem scheinheiligen Nationalismus seiner Zeitgenossen zu unterstreichen. Diese Verwendung von Mehrsprachigkeit könnte auch als Kritik an dem engstirnigen Nationalismus und der Ignoranz gegenüber anderen Kulturen interpretiert werden, die Tucholsky in seiner Zeit bemerkte.

Schlussendlich werden in „Meine Flieger – deine Flieger“ auf satirische Weise die Illusionen, Ausflüchte und Abwehrmechanismen einer stolz-verblendeten Gesellschaft entlarvt. Tucholsky zeigt in seinem Gedicht, dass der blinde Nationalstolz und die damit verbundene Herabwürdigung des „Anderen“ lediglich Ablenkungen von den tatsächlichen Problemen einer Gesellschaft sind.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Meine Flieger – deine Flieger“ ist Kurt Tucholsky. Im Jahr 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1929 entstanden. Berlin ist der Erscheinungsort des Textes. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zuordnen. Der Schriftsteller Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Erste Weltkrieg und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Weimarer Republik hatten großen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik. Das bedeutendste Merkmal der Literatur in der Weimarer Republik ist die Neue Sachlichkeit, die so heißt, da sie schlicht, klar, sachlich und hoch politisch ist. Die Literatur dieser Zeit war nüchtern und realistisch. Ebenso stellt sie die moderne Gesellschaft kühl distanziert, beobachtend, dokumentarisch und exakt dar. Die Schriftsteller der Literaturepoche wollten so viele Menschen wie möglich mit ihren Texten erreichen, deshalb wurde eine einfache und nüchterne Alltagssprache verwendet. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. In der Praxis wurde dieses Gesetz allerdings nur gegen linke Autoren angewandt. Aber gerade die rechts gerichteten Schriftsteller waren es häufig, die in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Die Grenzen der Zensur wurden im Jahr 1926 durch das sogenannte Schund- und Schmutzgesetz nochmals verstärkt. Die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen wurden durch die Pressenotverordnung im Jahr 1931 ermöglicht.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Autoren ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung im Mai 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. In Folge dessen flohen viele Schriftsteller aus Deutschland ins Ausland. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Die Themen der Exilliteratur Deutschlands lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Autoren fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oft konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Tätigkeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland aber niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die Themen in ihren Werken. Andere Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte zum einen die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Zum anderen aber auch den Widerstand unterstützen. Bestimmte formale Gestaltungsmittel wie zum Beispiel Metrum, Reimschema oder der Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel lassen sich in der Exilliteratur nicht finden. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Epoche geboren wurden. Das epische Theater von Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Radioreden oder Flugblätter der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das vorliegende Gedicht umfasst 212 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 38 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Kurt Tucholsky sind „An Peter Panter“, „An das Publikum“ und „An die Meinige“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Meine Flieger – deine Flieger“ weitere 136 Gedichte vor.

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